Fachkräfte gesucht: Wie Peter Spuhler mit Stadler Rail die Berufslehre in die USA bringt. (Bild: Kim Raff)

Wirtschaft
20.10.2025 | nzz.ch
Fachkräfte gesucht: Wie Peter Spuhler mit Stadler Rail die Berufslehre in die USA bringt
Donald Trump verspricht dem US-Industriearbeiter eine goldene Zukunft. Die Schweiz möchte mit ihrem Berufsbildungswesen einen Beitrag dazu leisten. Kann das aufgehen? Ein Reality-Check in der Lehrlingswerkstatt von Stadler Rail in Salt Lake City.
Als Elena sieht, dass der Chef persönlich mit auf der Führung durch die Fabrikhallen ist, hat sie – 19 Jahre alt, Lehrtochter bei Stadler Rail in Salt Lake City – keine Zeit mehr für Fragen und Antworten. Sie hechtet den USA-Chef Martin Ritter an und legt ihm nahe, dass sie perfekt wäre für das firmeninterne Austauschprogramm. Sie würde sehr gerne in der Schweiz arbeiten.
Ob Elena eine Vorstellung davon hat, dass die Welt in Bussnang, wo der Patron Peter Spuhler aus einem kleinen Zugbauer einen Weltkonzern geschaffen hat, eine andere ist als in Salt Lake City? Dass man im Thurgau, anders als in ihrer Heimat Utah, nicht meilenweit mit dem SUV durch eine ausufernde Stadt gondelt, sondern zu Fuss zum Lehrbetrieb und mit dem öV zur Berufsschule kommt?
Elena ist im dritten Lehrjahr. Sie arbeitet bei Stadler in der Elektromontage, produziert Panels für verschiedene Zugtypen und hilft heute ihrem Vorarbeiter beim Testen der Geräte. «Für mich sind Panels lebendige Dinge, ich liebe die Detailarbeit, und ich mag die Leute im Team», sagt Elena.
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Würde gerne einmal in den Austausch ins Thurgauische gehen: Elena testet produziert Panels für verschiedene Zugtypen. (NZZ)
Sie kommt «aus dem Westen» von Salt Lake City. Das ist ein Euphemismus für «ärmere Gegend mit benachteiligter Bevölkerung». Viele der Mitschülerinnen und Mitschüler, die mit Elena auf der West Highschool waren, sind auf der Suche nach Jobs. Oder nach einem besseren Job.
Auch Elena hat bei McDonald’s gearbeitet, bevor sie sich bei Stadler bewarb. Als sie hörte, dass sie dort einen bezahlten Job habe und parallel dazu im Community College auf Kosten des Arbeitgebers ausgebildet werde, war ihr Entscheid schnell gefällt.
Wie hat sie ihren Eltern beigebracht, dass sie eine Lehre machen wolle, zum «apprentice» werde? «Meine Mutter hat nur gefragt, ob der Job bezahlt sei.» Das war’s dann auch schon.
Exportschlager Berufslehre
Wer in den USA nach der Sekundarschule nicht an die Universität geht, bleibt oft auf dem Highschool-Abschluss sitzen. Die jungen Erwachsenen beginnen irgendwo zu arbeiten, auf dem Bau, im Detailhandel, im Gastrobereich, und machen keine weitere Ausbildung. «Non-Education wäre wohl für die meisten unserer Lehrlinge die Alternative gewesen», sagt der Stadler-USA-Chef Martin Ritter.
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Martin Ritter leitet Stadler Rail in den USA. (PD)
Anders in der Schweiz. Dort macht das Gros der Jugendlichen einen weiteren Abschluss. Dafür sorgt das duale Bildungssystem mit Berufslehre und Hochschule, das fest in der Gesellschaft und im Selbstbewusstsein des Landes verankert ist. Es schliesst niemanden aus, ist durchlässig, und bringt – Lehre sei Dank – Fachkräfte hervor, die auch wirklich etwas können. Es ist ein Erfolgsmodell, das die Schweiz, wann immer sie mit dem Rest der Welt etwas verhandeln muss, in die Waagschale wirft.
Ob beim Migrationsabkommen mit den Maghreb-Staaten oder bei den Verhandlungen mit der EU: Mit der Berufslehre glauben die Eidgenossen einen Trumpf in der Hand zu haben. Auch im Handelsstreit mit den USA soll er stechen. Schliesslich hat Präsident Donald Trump nicht weniger als ein goldenes Zeitalter für die amerikanische Industrie ausgerufen. Und dafür braucht es gut ausgebildete Fachkräfte.
Bei null gestartet
Denis Cerrone weiss ziemlich genau, wie es um die Fertigkeiten und die Motivation des durchschnittlichen amerikanischen Arbeiters steht. Er war zusammen mit Martin Ritter Teil einer kleinen Schweizer Einsatztruppe, die Peter Spuhler 2016 nach Salt Lake City geschickt hatte. Sie sollten in den USA den ersten Grossauftrag, den Stadler Rail dort an Land gezogen hatte, abarbeiten: acht Züge des Typs Flirt für das texanische Bahnunternehmen Fort Worth Transportation Authority.
«Bloss hatte noch nie jemand im ganzen Gliedstaat Utah einen Zug gebaut, auch von unseren amerikanischen Mitarbeitern hatte niemand Erfahrung», sagt Cerrone, der heute in Salt Lake City die Produktionsabteilung mit 40 Leuten leitet. Es gab noch nicht einmal die passenden Schrauben oder Werkzeuge, alles musste aus Europa herbeigeschafft werden.
Noch schwieriger gestaltete sich die Suche nach Fachkräften; «da sind wir recht auf die Welt gekommen», sagt Cerrone. Es hätten sich beispielsweise Leute als Elektromonteure beworben, deren einzige Berufserfahrung darin bestand, schon einmal eine Lampe angeschlossen zu haben.
Die Kabel in die Züge zogen Leute ein, die vorher bei einem Drive-in gearbeitet hatten. Motivation und Loyalität – sie sind ein Schlüsselfaktor in Peter Spuhlers Konzern – waren an einem kleinen Ort, von Berufsstolz gar nicht zu sprechen. «Wer keine formale Ausbildung hat, hat auch oft Probleme mit organisatorischen Dingen und auch damit, sich selbst zu organisieren», sagt Cerrone.
In der Schweiz war man anderes gewohnt, gerade von Lehrlingen.
Eine lebensverändernde Erfahrung
Carlos, 19 Jahre alt, verbindet in der Montageabteilung die Sensoren an einem Drehgestell eines Waggons. Diese messen Geschwindigkeit und Temperatur, kommen an die Ecken des Drehgestells zu liegen und werden in der Mitte verdrahtet. Carlos muss teilweise von unten her an das Drehgestell heran. «Man muss den Kopf recht beieinanderhaben, um die technische Zeichnung richtig umzusetzen.» Räumliches Vorstellungsvermögen helfe auch.
Carlos ist über seinen Bruder, der im Werk arbeitet, auf Stadler gestossen. Er hat vorher auf dem Bau Parkett und Teppiche gelegt. Da finde null Ausbildung statt, es werde einfach gearbeitet. «Die Lehre hat mein Leben verändert», erklärt Carlos. Seine Zukunft werde besser, mit dem Abschluss, mit der Berufserfahrung. In fünf Jahren möchte er ein Bachelor-Diplom als Ingenieur machen. «Mit der Hilfe von Stadler werde ich das auch schaffen», sagt Carlos.
So optimistisch können eigentlich nur Amerikaner klingen. Man hat in Salt Lake City denn auch das Gefühl, dass man sich in einem Stück Bussnang bewege, das in die USA verpflanzt worden ist. Das war am Anfang tatsächlich so, 2016 waren nur Schweizer hier. Und auch heute hört man in den Gängen immer wieder Schweizerdeutsch.
«In Bussnang ist die Effizienz zwar immer noch höher, aber inzwischen ist der Ausbildungsstand unserer Kolleginnen und Kollegen hier viel besser», sagt der USA-Chef Martin Ritter. Er erklärt es anhand des Drehgestells, an dem Carlos arbeitet.
An dieser Station darf man keine Fehler machen, bei der Montage nicht und auch beim Testen nicht. Jeder Fehler schlage sich sofort in der Fahrqualität nieder, aber auch in der Lebensdauer der Drehgestelle.
In den letzten Jahren habe man zwei, drei Rückschläge hinnehmen müssen. «Wir hatten das Gefühl, ein gutes Team zu haben mit den richtigen Mitarbeitern», erklärt der USA-Chef weiter, «dann stellten wir beispielsweise fest, dass Prozesse nicht eingehalten wurden, Abkürzungen genommen wurden. Gerade deshalb investieren wir gezielt in die Lehrlingsausbildung. Ziel ist nicht nur in die fachliche Qualität zu steigern, sondern auch die Loyalität gegenüber Stadler zu fördern.»
Die Schweiz als Versprechen
Wenn die Amerikaner einen Schweizer Zug bestellen, kaufen sie auch ein Versprechen. Es fallen Begriffe wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Qualität. Dieser Anspruch kollidiert mitunter mit dem, was amerikanische Arbeiter im Alltag liefern. In Bussnang bekommen Mitarbeiter eingebleut, dass die Verantwortung für die Qualität der Züge bei jeder und jedem Einzelnen liegt. «In der amerikanischen Kultur dagegen ist die Haltung eher: ‹Aber dafür haben wir doch die Qualitätsabteilung›», sagt Ritter.
Für Ritter – er hat Landwirt gelernt, danach an der Universität St. Gallen studiert und ist heute Geschäftsleitungsmitglied bei Stadler Rail – stand denn auch von Anfang an fest, dass man auch in Salt Lake City ein Lehrlingswesen aufziehen würde. Nach dem Motto: Wenn man keine Fachkräfte findet, dann bildet man sie halt selber aus.
Sondereinsatz mit Leuchtstift und Excel
Das ist einfacher gesagt als getan. Roman Müller, 25 Jahre alt, der eine Lehre als Automatiker absolviert hatte – bei Stadler natürlich –, hat 2022 die Leitung der Lehrlingsausbildung in Salt Lake City übernommen. Aus Bussnang eingeflogen, hat er nicht viel angetroffen.
Vorher waren ausschliesslich Amerikaner für die Ausbildung zuständig. Das heisst im Wesentlichen, dass einer, der alles bei Stadler on the job gelernt hat, einem Jüngeren alles on the job beibringt.
Also zückte Müller, der frischgebackene «Vocational Education Trainer», kurzerhand den sogenannten KoRe-Katalog des Branchenverbands Swissmem. Dort sind die Kompetenzen und Ressourcen, die sich Schweizer Lehrlinge aneignen müssen, detailliert aufgeführt.
Mit Leuchtstift und Excel baute Müller einen Ausbildungsplan auf. «Damit am Schluss ein Automatiker auch wirklich ein Automatiker ist», so sein Anspruch. Heute ist Müller für 35 Lehrlinge zuständig, die sich entweder als Automatik-Monteur mit dem Elektrischen oder als Produktionsmechaniker mit dem Mechanischen befassen.
Und jetzt in Metern bitte!
Die Lehrlinge fangen bei Stadler an, wenn sie im letzten Jahr der Highschool, dem Senior Year, stehen. Sie sind 17 Jahre alt, wechseln im zweiten Jahr dann an das Salt Lake Community College für die theoretische Ausbildung.
Dort ist Beau Smith, ein ehemaliger Stadler-Mitarbeiter, für den Lehrgang mitverantwortlich. Er kennt jeden Stein, über den die Firma in der Zusammenarbeit mit der Schule gestolpert ist. So ist Stadler anfangs mit einem üppigen Katalog von Anforderungen gekommen, die das Community College nicht erfüllen konnte – schlicht weil Infrastruktur, Material und Lehrkräfte fehlten.
Es war schwierig, die Stundenpläne mit den Anforderungen des Betriebs abzugleichen. Die Schulen weigerten sich zuerst, dem Lehrbetrieb Auskunft über die schulischen Leistungen der Lehrlinge zu geben, ja meldeten nicht einmal, wenn sie den Unterricht schwänzten.
Dann gab es auch praktische Hürden, etwa dass im Stalder-Universum auf Bauplänen und -skizzen in metrischen Einheiten gerechnet wird, im Community College aber in Inch, Foot und Yard.
Der Lehrlingsausbildner Roman Müller sieht die Mathematik als grösste Schwäche der Jugendlichen. Beispielsweise sollten sie die Formel für den Umfang eines Kreises kennen, um die Bohrgeschwindigkeit an einer Maschine richtig einstellen zu können.
Müller versucht nachzuputzen, wo er kann, sieht aber auch seine Grenzen: «Wir lösen in der Lehrlingswerkstatt keine Gleichungen, bringen den Kolleginnen und Kollegen aber bei, wie man zum Beispiel mit Massstäben auf Skizzen umgeht.»
Eine Schicht arbeiten, dann ins College
Seluvaias Tage sind lang. «Die Balance zwischen Arbeit und Schule könnte besser sein», kritisiert die Lehrtochter, die an diesem Tag morgens um 6 Uhr in der Halle losgelegt hat. Sie ist im dritten Lehrjahr und bereitet den Innenraum der Züge, die Stadler für einen Auftrag nach Atlanta, Georgia, liefert, für den Ausbau vor: Kabelkanäle installieren, Lärmisolation und Bodenplatten einpassen.
Sie wird heute bis 13 Uhr arbeiten und nachher noch für einige Lektionen ins Community College fahren. Dann sei sie schon ziemlich müde, «aber so ist das Leben, schätze ich», sagt Seluvaia.
«Ich dachte, ich könnte bei Stadler Lokführerin sein, jetzt baue ich Züge», witzelt sie, «da habe ich am Informationsabend nicht gut genug zugehört.» Ihr gefällt der technische Aspekt der Ausbildung, das sei viel besser, als einen Job in der Foodindustrie oder im Detailhandel anzunehmen. Nach dem Abschluss der Lehre würde Seluvaia gerne hier Teilzeit arbeiten und Ingenieurin oder Umweltwissenschafterin werden.
Ein erklärungsbedürftiges Produkt
Diesen Sommer haben 20 Lehrlinge in Salt Lake City begonnen. Bewerbungen eingegangen waren: 25. Die Berufslehre ist kaum bekannt, weder bei den Jugendlichen noch bei ihren Eltern. Also veranstaltet Stadler Roadshows mit Schulbesuchen, Firmenführungen, Informationsabenden.
Inzwischen ziehen auch der Schulbezirk und der Hochschulverbund Utah mit. Und seit sich vier weitere Firmen der Lehrlingsausbildung angeschlossen haben, darunter die amerikanische Niederlassung des österreichischen Seilbahnherstellers Doppelmayr, ist die Sichtbarkeit grösser.
Es gehe für Stadler nicht nur darum, Arbeitskräfte zu bekommen, erklärt der USA-Chef Martin Ritter: «Der Industriestandort USA braucht eine fundamentale Neuausrichtung in der Ausbildung, sonst werden wir nie konkurrenzfähig sein, Zölle hin oder her.» Darum wollten die Schweizer die Berufslehre in Utah von Anfang an auf eine breitere Basis stellen.
Doch das Produkt Berufslehre bleibt in den USA erklärungsbedürftig. Warum sollte ein Betrieb in die Ausbildung seiner Mitarbeiter investieren, wenn sie dann von einem Wettbewerber abgeworben werden? Warum sollte man als Angestellter länger bei Stadler bleiben, wenn einem doch überall sonst beigebracht wird, dass man alle zwei bis drei Jahre den Job wechseln soll, um den Lohn zu erhöhen?
«Auch in der Fabrik dachten die Kolleginnen und Kollegen: ‹Jetzt kommt ein Praktikant, der Kaffee holen und Dokumente ausdrucken kann›», sagt Martin Ritter. So funktionierten viele «internships» in den USA, also habe man den Mitarbeitern zuerst einmal beibringen müssen, was die Jugendlichen hier genau tun.
Ein Aspekt, den man nicht unterschätzen sollte, sei der Einfluss, den die Lehrlinge auf das Team hätten, erklärt der USA-Chef weiter. Einerseits können die Mitarbeiter den Lehrlingen etwas beibringen, das finden sie cool. Andererseits können die Lehrlinge, die eine strukturierte Ausbildung geniessen, schon nach zwei Jahren eine führende Rolle im Betrieb übernehmen und zum Beispiel neue Mitarbeiter inhaltlich einarbeiten.
Schuldenfrei aus der Lehre
Doch der Aufwand ist gross – und eine Tatsache bleibt: Es ist nicht die A-Liga der Schülerinnen und Schüler, die sich für eine Lehre interessiert. An einer Universität zu studieren, gilt in den USA immer als Königsweg. Dieser hat aber seinen Preis: «student debt», die Tatsache, dass Amerikaner bis zum Universitätsabschluss meist einen Schuldenberg angehäuft haben.
Das ist eines der stärksten Argumente für die Lehre bei Stadler: keine Schulden, im Gegenteil – die Firma übernimmt die Kosten für das Community College, und man verdient Geld, wenn man arbeitet. Einer der grössten Schwachpunkte ist, dass der Abschluss – ein «Associate’s Degree» – derzeit noch nicht von den Hochschulen für weiterführende Studien akzeptiert wird.
Es gibt aber auch Lehrlinge, die gerne Überstunden anhäufen, des Geldes wegen. Das erlaubt Stadler aber nur, wenn die schulische Leistung stimmt. «Wir sind ein Ausbildungsbetrieb und keine Sozialeinrichtung», stellt Martin Ritter klar.
Lohnt sich der Aufwand, hier in Utah quasi im Alleingang die Berufslehre aufzuziehen? Man könne es durchaus hinterfragen, sagt Martin Ritter. Aber er ist überzeugt, dass sie hier eine Pionierrolle einnehmen und als Unternehmen das Richtige tun.
Der USA-Chef sieht alles, was Stadler Rail in den USA aufgebaut hat, als ein riesiges Wissenstransferprojekt an. Man sei vor zehn Jahren in Salt Lake City mit null Kompetenz gestartet, heute habe man über 650 kompetente Mitarbeiter, die neue Kolleginnen und Kollegen einarbeiten könnten. «Aber Fachkräfte zu bekommen, wird immer tough bleiben», auch weil die Fertigungstiefe im Werk Salt Lake City von Jahr zu Jahr zunimmt.
Nächste Baustelle: Schweissen
So werden noch in diesem Jahr erstmals ganze Waggons in den USA zusammengeschweisst. Derzeit ist ein Team aus dem Stadler-Werk in Ungarn vor Ort, um die Produktionsstrasse in Betrieb zu nehmen und den amerikanischen Kollegen zu zeigen, wie man schweisst. Einer, der das kaum erwarten kann, ist Sam.
«Wenn ich im Flow bin, Augen, Hände und Füsse perfekt zusammenarbeiten, dann mache ich die schönsten Schweissnähte», behauptet der 20-Jährige. Seit er an der Highschool im Werkunterricht das Fach Schweissen (Welding) belegt hat, kann er sich nichts Schöneres vorstellen. «Ich habe von Sam schon einen Blumenstrauss aus Stahl bekommen», sagt seine Mutter etwas verlegen. Sams Eltern sind extra zu Stadler gekommen, um ihre Erfahrungen mit der Lehrlingsausbildung zu schildern.
Sams Mutter erinnert sich noch an die eigene Highschool-Zeit. «Wenn jemand sagte, er gehe nicht an die Uni, dann wurde man als ‹lower class› angeschaut.» Sams Familie – sein Vater ist Mathematikprofessor, seine Mutter ist als Ausbildnerin im Tourismus tätig – hat früher in der deutschen Universitätsstadt Göttingen gelebt.
Darum ist ihnen das Konzept einer Berufslehre nicht fremd, im Gegenteil, sie sehen den Wert von solidem, kundigem Handwerk: Weil alle an die Universität gingen, würden wichtige Berufe aussterben, sagt Sams Vater. «Alle schauen auf den Sanitär runter, bis sie dringend einen brauchen, der ihre Toilette repariert», so doppelt Sams Mutter nach.
Sam und sein Bruder – der Schauspieler werden will – wären an der Universität, an der ihr Vater lehrt, untergekommen, aber das kam für Sam nicht infrage. «Ich arbeite gerne mit den Händen, habe nichts dagegen, wenn sie schmutzig werden», erklärt er, «und wenn ich einen Fehler mache, fluche ich ein wenig vor mich hin.»
Der amerikanische Traum lebt
Als letzten Lehrling treffen wir Alberto. Er arbeitet im Bereich Commissioning. Hier dürfen nur die besten und erfahrensten Lehrlinge ran, denn es werden Züge unter Hochspannung getestet. Fehler können tödliche Konsequenzen haben. Es ist laut in der Halle, es hallt, man versteht Alberto kaum, auch weil er, der im letzten Lehrjahr steht, nur stockend Englisch spricht.
Wie gut kann es um das amerikanische Bildungssystem stehen, wenn die Jugendlichen nicht einmal die Landessprache richtig können?
Die Antwort folgt auf dem Fuss. Alberto ist vor zwei Jahren aus Venezuela in die USA gekommen und war in der Schule so gut, dass Stadler ihn gleich engagiert hat.
Der amerikanische Traum, er lebt. Und die Schweizer Berufslehre trägt einen kleinen Teil dazu bei.

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