Netstal entwickelt und fertigt seit über 70 Jahren schnelllaufende Hochleistungsmaschinen für die Kunststoffverarbeitung. In Zukunft will das Unternehmen seine Maschinen nicht mehr ausschliesslich in der Schweiz zusammenbauen. (Netstal)

Wirtschaft
27.9.2025 | nzz.ch
Produktionsverlagerungen in die USA und EU: Schweizer KMU verraten ihre Pläne
Es scheint ruhig an der Zollfront, doch hinter den Kulissen brodelt es. KMU-Exportfirmen stellen sich neu auf. Droht ein Kahlschlag– oder wird die Krise wie 2015 zur Chance?
Das Familienunternehmen Hidrostal sorgt dafür, dass es läuft: in den Abwassersystemen, bei der Entwässerung von Baugruben, beim Transport sowie bei der industriellen Verarbeitung von Lebensmitteln. Die Firma mit Sitz in Neunkirch im Kanton Schaffhausen produziert Hightech-Pumpen – mit dem Versprechen, dass es nirgends zu Verstopfungen kommt.
Doch nun steht Hidrostal selbst vor einem Hindernis: Donald Trumps Zöllen von 39 Prozent. Die seit dem 7. August 2025 geltende Regel schliesst zahlreiche Schweizer Firmen praktisch vom amerikanischen Markt aus. Ob es eine Verhandlungslösung gibt, ist offen. Während der Bund schweigt, redet der CEO Rolf Schweizer Klartext: «Wir suchen nach einem Standort in den USA.»
Der Verwaltungsrat fällte diesen Grundsatzentscheid bereits vor einem Jahr. Auslöser waren die verschärften Buy-America-Regeln für öffentliche Aufträge, die Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführt hatte. Das setzte die Firma zunehmend unter Druck, da sie vor allem im Abwasserbereich tätig ist, wo Städte und Gemeinden die Kunden sind.
Mit den Zöllen ist diese Dringlichkeit schlagartig gestiegen. Schweizer: «Seit zwei, drei Monaten suchen wir nun intensiv. Das Ziel ist, einen bestehenden US-Produktionsbetrieb mit qualifiziertem Personal im Südosten der USA zu übernehmen.»
Die Erfahrung aus anderen Ländern soll helfen
Ob das gelingt, ist offen. Doch Schweizer ist überzeugt, dass der Schritt richtig ist: «Der Nachholbedarf bei der US-Infrastruktur ist riesig. Für uns ergibt sich daraus erhebliches Wachstumspotenzial.» Ein Vorteil von Hidrostal: Die Gruppe mit 1300 Mitarbeitenden verfügt über eine grosse Erfahrung im Ausland, produziert bereits in Peru, Ungarn, Polen, England, China und Lettland. In der Schweiz sind 175 Mitarbeitende tätig, 150 davon in der Produktion in Neunkirch.
Das Unternehmen leistet sich die zahlreichen Standorte, weil man die lokale Präsenz in vielen Märkten als Vorteil sieht. «Zudem arbeiten wir teilweise fast wie eine Manufaktur», erklärt der CEO Schweizer. Deshalb würden die vielen Standorte weniger ins Gewicht fallen als bei Grosskonzernen, die in grossen Serien produzieren.
«Hidrostal ist konkurrenzfähig, weil wir in der Lage sind, unseren Kunden massgeschneiderte Lösungen anzubieten, die exakt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse abgestimmt sind.» Produkte ab Katalog biete das Unternehmen nicht an.
Umfrage zeigt: Hidrostal ist kein Einzelfall
Hidrostal ist mit den Ausbauplänen in den USA nicht allein. Laut einer Umfrage des Industrieverbandes Swissmem, an der 385 von 1400 Mitgliedsfirmen teilnahmen, erwägen derzeit 12 Prozent eine Produktionsverlagerung in die USA. Rund 31 Prozent denken über eine (Teil-)Verlagerung in die EU nach.
Doch «Verlagerung» bedeutet Unterschiedliches, wie Gespräche mit Industrievertretern zeigen. Eine komplette Betriebsschliessung in der Schweiz mit einem Neubau im Ausland ist fast nie der Plan. Häufig betrifft es einzelne Produktionsschritte, die ins Ausland verschoben werden.
Ein Beispiel liefert die Falu AG aus Rüti im Kanton Zürich. Der Maschinenbauer mit 20 Mitarbeitenden fertigt ebenfalls in einer Nische: Maschinen und Ersatzteile für die Produktion von Wattestäbchen.
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Die Maschinen der Falu AG können pro Sekunde 50 Wattestäbchen herstellen. (Simon Tanner / NZZ)
Falu-Maschinen werden in der Schweiz und bei einem Partner in Italien gebaut, massgeschneidert nach Kundenwunsch. Die Maschinen können bis zu 3000 Wattestäbchen pro Minute herstellen und werden in 80 Ländern weltweit eingesetzt. In den USA hat Falu mit U.S. Cotton einen Grosskunden. «Nun stellen wir die Produktion stärker auf Italien um», sagt der CEO Guy Petignat. Dadurch entgeht das Unternehmen den Zöllen von 39 Prozent.
Auswirkungen für den Werkplatz unklar
Für Falu bleibt es eine kleine Anpassung. Mit der Zeit könnten ein, zwei Stellen aus der Schweiz nach Italien verschoben werden. Dennoch sieht Petignat einen schleichenden Bedeutungsverlust für den Werkplatz. «Wenn jedes KMU hierzulande zwei, drei Stellen streicht, werden wir das spüren.»
Auch der Swissmem-Präsident Martin Hirzel warnt mit Blick auf die Umfragen vor den Folgen. «Sollten die Firmen diese Verlagerungen tatsächlich im vollen Umfang umsetzen, hätte das ernste Konsequenzen.»
Renzo Davatz, CEO des Maschinenbauers Netstal aus Glarus, ist optimistischer. Auch er prüft einen Produktionsstandort in den USA, bestreitet jedoch, dass dies einen Abbau in der Schweiz bedeutet. «Wenn wir in den USA produzieren, wollen wir dort auch wachsen. Davon profitiert im Idealfall das gesamte Unternehmen – auch die Mitarbeitenden in der Schweiz.»
«Der US-Markt bietet enorme Chancen»
Netstal stellt Spritzgussmaschinen für die Herstellung von PET-Flaschen-Rohlingen und -deckeln her, zudem Verpackungsmaschinen für die Pharma- und die Lebensmittelbranche. Der Exportanteil liegt bei 95 Prozent.
Eine Produktion in den USA wäre ein Paradigmenwechsel. Zwar ist Netstal im Ausland mit Verkaufs- und Servicegesellschaften präsent. Doch die Endmontage aller Maschinen erfolgt bislang ausschliesslich in der Schweiz, wo 400 der insgesamt 550 Mitarbeitenden tätig sind.
Zunächst zog das Management eine EU-Produktion in Betracht. Inzwischen hält man eine Expansion in die USA für konsequenter. «Der US-Markt bietet enorme Chancen. Und der Trend, die Industrie ins Land zu holen, wird auch nach Trump anhalten», sagt Davatz.
Ein weiterer Faktor ist der Wechselkurs. Davatz rechnet mit einem Dollar-Franken-Kurs von 80 Rappen. Gründe genug also, auf die USA zu setzen. Der Umsatzanteil solle in wenigen Jahren von heute 15 auf bis zu 30 Prozent steigen. «Ich bin überzeugt, dass eine Produktion in den USA richtig ist – auch dann, wenn die Zölle allenfalls auf 15 Prozent fallen würden.»
Gelingt das Mindestkurs-Kunststück erneut?
Offen bleibt die Frage nach geeigneten Zulieferern. Zudem zeigt sich ein Problem bei qualifizierten Mitarbeitenden. «In Europa sind Arbeitskräfte 10 bis 15 Prozent produktiver, unter anderem auch, weil sie besser ausgebildet sind», sagt Davatz. Dennoch ist er zuversichtlich, geeignetes Personal zu finden. Er brauche vorerst nur 10 bis 20 Mitarbeitende.
Das Kernteam soll sich aus den 15 bis 20 Servicetechnikern in den USA und einigen wenigen Fachleuten aus der Schweiz zusammensetzen. Das Interesse sei da: «Nachdem wir die Pläne kommuniziert haben, meldeten sich einige junge Mitarbeiter, die ein paar Jahre in den USA arbeiten möchten.»
Davatz und Netstal wollen aus der Krise eine Chance machen – auch für den Werkplatz Schweiz. Das Familienunternehmen Hidrostal hofft ebenfalls, mit dem Wachstum in den USA den Standort in Schaffhausen zu sichern.
Gelingt es der Schweizer Industrie am Ende – wie schon 2015 nach der abrupten Aufhebung des Euro-Mindestkurses –, gestärkt aus der Zollkrise hervorzugehen? Es wäre fast zu schön, um wahr zu sein.
Thomas Schlittler, «NZZ am Sonntag»

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