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Swatch-Group-Chef Nick Hayek: «Die ganze Welt hat gesehen, dass die Schweiz in Panik geraten ist»

Nick Hayek stört sich am defensiven Auftreten der Schweiz im Zollstreit mit den USA. (Bilder Salvatore Vinci für NZZ)

Swatch-Group-Chef Nick Hayek: «Die ganze Welt hat gesehen, dass die Schweiz in Panik geraten ist»

Wirtschaft

13.9.2025 | nzz.ch

Swatch-Group-Chef Nick Hayek: «Die ganze Welt hat gesehen, dass die Schweiz in Panik geraten ist»

Der Uhren-Unternehmer kritisiert, wie defensiv die Schweiz im Zollstreit mit den USA auftritt. Mit einer 39-Prozent-Swatch setzt er nun selber ein Zeichen gegen Donald Trump. Und erstmals äussert er sich eindeutig zur Frage, ob er seine Firma von der Börse nehmen will.

Herr Hayek, was kommt Ihnen beim Thema Wilhelm Tell in den Sinn?

Der Apfel.

Sie vergessen den Film mit dem Titel «The Land of William Tell», den Sie vor vierzig Jahren gedreht haben. Ein Jungfilmer stellt sich an der Schreibmaschine sein grosses Filmprojekt vor – über einen amerikanischen Bomberpiloten, der im Zweiten Weltkrieg abstürzte und nun nach Jahren in die Schweiz zurückkehrt, um sich feiern zu lassen. Wie kamen Sie auf diese Geschichte?

Aus Lust am Erzählen. Ich spiele mit Stereotypen – über die Schweiz und über Amerika – und breche sie auf komödiantische, provokative Weise.

Inzwischen wurde aus dem Komödienstoff ein Drama. Trump zerschlägt mit dem Zollhammer den Wilhelm-Tell-Mythos, die Schweiz wirkt hilflos statt wehrhaft.

Man muss den Film zu Ende schauen: Am Schluss entscheidet die Landsgemeinde in Appenzell, wen man aus einem brennenden Lift rettet. Um eine Krise zu meistern, muss man Stellung beziehen und Selbstbewusstsein demonstrieren.

Was hätte der Bundesrat also Ihrer Meinung nach tun müssen?

Führung vorleben. Kurz nachdem Frau Keller-Sutter verkündet hatte, alles komme gut, passierte genau das Gegenteil. Entscheidend ist aber nicht, was in den 60 oder 90 Tagen davor geschehen ist, sondern, wie die Schweiz auf die Desavouierung und die plötzlichen 39-Prozent-Zölle reagiert hat. Und eben dort zeigt sich Leadership.

Und die hat gefehlt?

Ja. Die offizielle Reaktion war: Wir sind klein, wir sind schwach, wir haben keine Gegenargumente. Ein chinesischer Unternehmer aus Peking, der ein paar Tage später bei mir zum Mittagessen war, fragte mich, was denn mit der Schweiz los sei. Er sagte: «Wir bewundern die Schweiz, ihre Unabhängigkeit, die starke Währung, die innovative Industrie, die Verlässlichkeit, die stabilen politischen Verhältnisse. Und jetzt hören wir auf einmal von der Schweizer Regierung, dass die Schweiz zu klein und zu schwach ist, um sich gegen die USA zu wehren. Das verstehe ich nicht, und es grenzt schon fast an einen Minderwertigkeitskomplex.» Diese ehrlich gemachten Aussagen trafen mich, wie Wilhelm Tell den Apfel.

Haben die Schweizer nicht schon immer so auf aussenpolitische Krisen reagiert?

Nein, so defensiv habe ich die Schweiz noch nie erlebt. In früheren Krisen wurde klug kommuniziert, getragen von einem intakten Selbstbewusstsein. Auch Bundesräte pflegten diese Haltung: zurückhaltend, aber mit innerer Stärke. Heute aber bin ich erschrocken. Denn nun kommunizieren wir nach aussen – nicht nur gegenüber den Amerikanern, sondern weltweit –, dass wir schwach und klein sind, unfähig, uns zu wehren. Die ganze Welt hat gesehen, dass die Schweiz in Panik geraten ist.

Der Reichtum der Schweiz scheint Begehrlichkeiten zu wecken.

Das war schon immer so. Ein prägendes Erlebnis für mich war der Besuch des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl bei meinem Vater vor mehr als zwanzig Jahren. Es ging damals um das Auto-Projekt Smart. Mein Vater fragte ihn, warum alle die Schweiz unbedingt in der EU haben wollten. Kohl antwortete ehrlich und humorvoll: «Wegen der Kohle.»

Wie hätte denn ein Zeichen von Stärke aussehen können?

Alle fürchteten Zölle auf Goldbarren – dann erklärte Trump, Gold sei ausgenommen. Gold ist zentral für die US-Finanzmärkte. Die Schweiz hätte sagen können: «Danke für die Ausnahme – aber wir erwägen jetzt unsererseits 39 Prozent Exportzölle auf Goldbarren für die USA.» Ruhig, bestimmt. Das wäre eine klare und starke Botschaft gegenüber den USA gewesen.

Dass Rolex Donald Trump ans US Open eingeladen hat, findet Nick Hayek richtig. Er selbst hätte Bundesrat Parmelin gleich mit eingeladen.

Dass Rolex Donald Trump ans US Open eingeladen hat, findet Nick Hayek richtig. Er selbst hätte Bundesrat Parmelin gleich mit eingeladen.

Was hätte das gebracht?

Erstens wären wir auf dem Radar; zweitens wäre klar, dass wir uns wehren, und das ist die beste Grundlage für Leute wie Trump, die es lieben, wie er es ausdrückt, Deals zu machen.

Im Zuge dieser Zollaffäre stimmen viele bereits einen Abgesang auf den Industriestandort Schweiz an. Sie auch?

Nein, ganz im Gegenteil. Die Schweiz ist stark: kein Zentralismus, starke Regionen, eine direkte Demokratie, die die Bevölkerung einbindet. Stabilität bringen auch pragmatische Gewerkschaften. Industrieproduktion ist in vielen Regionen tief verwurzelt – getragen von Grossunternehmen und zahlreichen KMU. Dazu kommen das einzigartige Lehrlingssystem, ein gutes Schulwesen, tiefe Staatsschulden und der Stolz auf «Swiss made». Natürlich gibt es Nachteile wie den starken Franken, doch daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt.

Und wie beurteilen Sie im Vergleich dazu den Standort Deutschland?

Wesentlich kritischer. Früher galt Deutschland als unermüdlich, heute erlebe ich es anders. Wenn ich in unseren Filialen in Spanien, Italien oder Griechenland am Freitagnachmittag anrufe, hat es immer Leute, die an der Arbeit sind. In unserer Filiale in Deutschland hingegen, und das ist nicht hausgemacht, sondern länderspezifisch, finde ich dann niemanden mehr. Deutschland ist nicht nur vom Gefühl her ein verbeamteter Staat. Hinzu kommt eine Art Zufriedenheit, dass der Wohlstand etwas vom Staat Garantiertes ist.

Wie ist das im Vergleich zu Ihren Standorten in den USA, etwa bei Ihrer Marke Harry Winston?

Die Arbeitsmoral und Motivation in den USA ist sicher viel stärker als gegenwärtig in Deutschland. Eines der Probleme in den USA aber ist die permanente Anwaltskultur. Für jede Situation und jeden Vorfall finden sich Hunderte von Anwälten, die auf der Suche nach Klienten sind, die sie kostenlos vertreten und für die sie klagen können. Gleichzeitig muss man extrem aufpassen, wie man reagiert, um nicht sofort ungerechtfertigten Diskriminierungsvorwürfen ausgesetzt zu sein.

Sie haben ein schlechtes Bild von den USA.

Nein, ich denke, es ist ein realistisches Bild. Ich reise seit langem nicht mehr dorthin. Ich mag die Amerikaner, aber wenn ich nur schon die Fragen anschaue, die ich vor einer Einreise beantworten muss, dann vergeht mir die Lust, dorthin zu reisen. Planen Sie jemanden umzubringen oder ein Attentat zu verüben? Haben Sie irgendwelche Sympathien für Terrororganisationen, usw., usw. Wenn Sie einem Immigration Officer gegenüberstehen, haben Sie das Gefühl, dass er Ihnen schon einen Vorwurf macht, weil Sie überhaupt in die USA einreisen wollen. Man fühlt sich sofort unter Generalverdacht.

Ganz anders in China. Wenn Sie dort einreisen, können Sie sogar ein Feedback geben, ob Sie vom Immigration Officer gut behandelt worden sind, mithilfe von drei Buttons, einem lachenden, einem neutralen und einem unzufriedenen. So was würde ich auch gerne in der Schweiz einführen.

Hätten Sie, wie Rolex, Donald Trump am US Open in Ihre Loge eingeladen?

Donald Trump als Person natürlich, als Präsidenten eher nicht, aber da Rolex ja ein grosser Sponsor des US Open ist, ist das verständlich. Ich hätte aber auch Bundesrat Parmelin eingeladen, der kurz zuvor in den USA war. Parmelin und Trump gemeinsam beim Tennis: Das wäre eine «golden opportunity» gewesen, ohne Gesichtsverlust ins Gespräch zu kommen.

Trump steht für Disruption, genauso wie Ihre Piratenflagge im Büro. Aber wenn man das grössere Bild betrachtet – Trump mit seinem autokratischen Stil, die Entwicklung der künstlichen Intelligenz, die Flaute in China, Putins Krieg gegen die Ukraine –, ist das nicht ein bisschen viel Disruption auf einmal?

Es ist eher zu wenig.

Ernsthaft?

Entscheidend ist das Ziel, die Botschaft dahinter. Bei Swatch ist es «positive Provokation» . . .

Wie die «What if . . . Tariffs?»-Swatch, die Sie am Mittwoch als Reaktion auf die Trump-Zölle lanciert haben?

Genau. Regeln hinterfragen, verändern, Neues ermöglichen. Dahinter muss jedoch ein echtes, glaubwürdiges Engagement stehen. Das ist aber vor allem in der Politik leider nicht der Fall, denn dort gibt es viel Heuchelei. Ein bisschen Durchschütteln schadet nicht.

Was meinen Sie mit Heuchelei?

Nehmen Sie die Aufregung darüber, dass Trump Putin in Alaska die Hand schüttelt. Das wird sofort skandalisiert. Aber wenn man Netanyahu die Hand schüttelt, regt sich kaum jemand auf. Das ist doch heuchlerisch.

Die am Mittwoch lancierte Zollhammer-Swatch (mit vertauschter 3 und 9) ist in Bundesbern beliebt: Selbst Bundesrat Parmelin hat eine gekauft. Obwohl die Uhr ausschliesslich in der Schweiz erhältlich ist, hat Nick Hayek am Samstag ganzseitige Inserate in den drei grossen US-Tageszeitungen «New York Times», «Wall Street Journal» und «Washington Post» publiziert. Die Botschaft an Präsident Trump ist dort nachzulesen: «Hopefully only a «limited edition». Die Uhr ist nur so lange erhältlich, wie der Strafzoll von 39 Prozent gilt.

Die am Mittwoch lancierte Zollhammer-Swatch (mit vertauschter 3 und 9) ist in Bundesbern beliebt: Selbst Bundesrat Parmelin hat eine gekauft. Obwohl die Uhr ausschliesslich in der Schweiz erhältlich ist, hat Nick Hayek am Samstag ganzseitige Inserate in den drei grossen US-Tageszeitungen «New York Times», «Wall Street Journal» und «Washington Post» publiziert. Die Botschaft an Präsident Trump ist dort nachzulesen: «Hopefully only a «limited edition». Die Uhr ist nur so lange erhältlich, wie der Strafzoll von 39 Prozent gilt. (Pierre Albouy / Reuters)

Russland wurde von der Ukraine nicht angegriffen, Israel von der Hamas schon. Setzen Sie Putin und Netanyahu wirklich gleich?

Wenn man die Moralkeule schwingt, dann ja. Die Argumentation, man dürfe mit Putin nicht reden, weil er einen ungerechten Krieg führt und Gebiete annektiert hat, während man mit anderen Politikern, wie Netanyahu, die sogar im eigenen Land umstritten sind, problemlos spricht – das zeigt die Doppelmoral. Beide begründen ihr Handeln damit, sich zu verteidigen. Doch während das eine skandalisiert wird, wird das andere toleriert. Und das ist für die ganze Welt sichtbar. 60 bis 70 Prozent der Länder haben Russland keine Sanktionen auferlegt. Putin steht neben Modi, Kim Jong Un und Xi. Das politische Establishment im Westen bewertet dies sofort als extrem negativ, vielleicht sollte aber die Position lieber sein: «Es wäre besser, wir wären auch dort.» Hätte man schon viel früher mit Putin gesprochen, wäre der Konflikt vielleicht längst entschärft.

Seit Monaten laufen Gespräche, und trotzdem führt Putin den Krieg gegen die Ukraine immer brutaler.

Ja, aber das hängt auch mit dieser heuchlerischen Situation zusammen. Die Mehrheit der Welt sieht, wie der Westen ideologisch gefärbt argumentiert – und er verliert Glaubwürdigkeit in Afrika, Asien oder Südamerika. Diese Doppelmoral schwächt uns. Und genau hier hätte die Schweiz eine Rolle: Wir sind unverdächtig, wir haben keine koloniale Vergangenheit, keine imperialistischen Ambitionen. Die Schweiz könnte glaubwürdig vermitteln. Darum habe ich die Bürgenstock-Friedenskonferenz nicht verstanden. Man lud zu einem Treffen über den Ukraine-Krieg ein, aber die Russen selbst wurden nicht eingeladen. Natürlich hätten sie wahrscheinlich abgesagt – aber den Mut, sie einzuladen, hätte man haben müssen.

Was bedeuten die geopolitischen Verwerfungen für Ihr tägliches Geschäft? Unsicherheit ist ja Gift für Unternehmer.

Nein, Unsicherheit schafft Chancen. Sie zwingt uns, flexibel zu sein. Ich sage oft: Es gibt Tram-, Trolleybus- und Taxi-Typen. Das Tram fährt streng nach Plan, der Trolleybus hat etwas Spielraum – aber ein gutes Taxi entscheidet situativ, nimmt Umwege und spricht dies auch mit dem Fahrgast ab. Genau diese Taxi-Mentalität braucht es eigentlich immer, aber noch mehr in unsicheren Zeiten.

Wie viel Taxi steckt denn in Swatch?

Viel, aber nehmen wir doch das Beispiel dieser 39-Prozent-Zölle für Amerika. Hier können wir über Transferpreise, Margen und den Preis des Produktes gegenüber den Kunden flexibel agieren. Je nach Marke werden wir hier Preiserhöhungen in einem Rahmen von 5 bis 15 Prozent machen. Da wir aber auch stark in Kanada und Mexiko vertreten sind, wird es auch dort Chancen geben punkto amerikanischer Konsumenten. Wir sind auch auf Hunderten karibischen Kreuzfahrtschiffen vertreten, vor allem mit unseren Volumenmarken, und dies oft Duty-free. Dann gibt es natürlich Produkte, die der amerikanische Konsument einfach haben will, wie die MoonSwatch Moonshine Gold, die statt 400 Dollar jetzt 450 Dollar kostet. Natürlich haben sich die amerikanischen Kunden nicht darüber gefreut, aber sie haben auch verstanden, dass es nicht unsere Schuld ist, sondern die Folge der amerikanischen Politik.

Noch sieht es nicht so aus, dass Ihre Taxi-Strategie funktioniert. Sie kommentierten Ihre Geschäftszahlen von 2024 mit der Aussage: «Das Beste daran ist, dass sie leicht zu übertreffen sind.» Davon sind Sie weit entfernt.

In den USA boomt es: Per Ende August sind wir in Lokalwährung bei rund +15 Prozent über alle Marken. Die Amerikaner kaufen weiter – auch nach Preiserhöhungen.

Aber Ihr weltweiter Umsatz liegt unter Vorjahr.

Weil wir traditionell sehr stark sind in China. Wenn ein Markt mit über 2,5 Milliarden Umsatz um 30 Prozent einbricht, dann fehlen nach Adam Riese sofort 750 Millionen. Selbst wenn wir in den USA um 30 oder 40 Prozent wachsen, und wir sind hier schon heute bei über 1 Milliarde Umsatz, kompensiert das die 750 Millionen nicht vollständig. Das ist die Realität, aber der chinesische Markt ist ja nicht nur im Minus bei der Swatch Group, sondern in der gesamten Uhrenindustrie wie auch der Luxusindustrie, Mode und Autos inklusive.

Und wann kommt China zurück?

Fragen Sie Xi Jinping. Das Potenzial ist jedenfalls enorm. Die Marke Swatch hat am letzten Montag die neue MoonSwatch Mission to Earthphase Moonshine Gold lanciert. Vor unseren 15 Läden gab es wieder lange Schlangen. Teilweise stoppte die Polizei den Verkauf aus Sicherheitsgründen. Bei den andern Marken der Swatch-Gruppe sehen wir, im Online-Geschäft wie auch beim Sell-out in unseren eigenen Läden, ebenfalls leichte Anzeichen einer Erholung. Statt von minus 30 Prozent reden wir hier je nach Marke von minus 10 Prozent bis zu einem leichten Plus. Viele Händler fangen wieder an zu bestellen, die Lagerbestände normalisieren sich. Aber der Immobilienmarkt bremst die konjunkturelle Entwicklung – dort ist keine echte Erholung in Sicht.

Mit der Swatch Group an der Börse kotiert zu sein, ist für Nick Hayek kein Problem. Störend findet er die dort vorherrschende Mentalität, die den Erfolg einer Firma nur am Aktienkurs messe.

Mit der Swatch Group an der Börse kotiert zu sein, ist für Nick Hayek kein Problem. Störend findet er die dort vorherrschende Mentalität, die den Erfolg einer Firma nur am Aktienkurs messe.

Trifft Sie in China nicht auch der Trend, dass Konsumenten aus Nationalstolz vermehrt einheimische Marken kaufen – wie bei Autos, Schmuck oder Mode?

In der Uhrenindustrie überhaupt nicht. «Swiss made» bleibt hochgeschätzt. Die Chinesen kommen hierher in die Schweiz, interessieren sich für die Geschichte unserer Marken und wollen keine Kopien, sondern das Original. Es gibt zwar chinesische Marken und Produzenten, wie zum Beispiel Seagull, aber sie spielen keine ernsthafte Rolle. In der Mode und im Schmuck ist es anders. Goldschmuck etwa war in China wie auch in Indien schon immer eine Form der Geldanlage, wie zum Beispiel bei Anbietern wie Chow Tai Fook.

Was bedeutet das für Harry Winston? Die Schmuckmarke produziert in den USA – und die USA und China liefern sich einen Handelskonflikt. Wird Harry Winston in China massiv teurer?

Massiv nicht, aber im obersten Segment spielt das kaum eine Rolle. Bei Harry Winston beginnen die Preise erst bei 15 000 bis 20 000 Dollar. Da lässt sich ein Aufschlag leichter überwälzen, als wenn die Einstiegspreise bei 5000 Dollar liegen würden.

Probleme wie ein Zollkrieg werden Ihnen von aussen vorgegeben, andere sind hausgemacht. Haben Sie Ihren Luxusmarken in der Vergangenheit genügend Aufmerksamkeit geschenkt?

Wenn es um die Qualität der Produkte geht, haben wir sicherlich unsere Hausaufgaben gemacht. Ich gebe Ihnen aber recht, dass wir in der Distribution, das heisst mit der Eröffnung eigener Läden, nicht schnell genug reagiert haben. Heute haben Breguet und Blancpain in den USA nur zwei beziehungsweise einen Laden – in der Zukunft wird es ein Vielfaches sein. Doch eine breite Präsenz baut man nicht von heute auf morgen auf. Man muss sich allerdings auch fragen, was man überhaupt erreichen will. Viele börsenkotierte Unternehmen sind im Wachstumszwang – immer mehr Umsatz, immer mehr Verkaufsstellen. Qualitatives Wachstum spielt oft eine untergeordnete Rolle. Ein gutes Gegenbeispiel ist Armani, nicht börsenkotiert, 2,3 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2024, aber nur rund 70 Millionen operativer Gewinn. Giorgio Armani, der leider gerade eben verstorben ist, hat richtigerweise nicht auf maximale Rendite gesetzt, sondern prioritär in seine Marke investiert.

Vor zwei Wochen waren die Geneva Watch Days, mit 15 000 uhreninteressierten Besuchern. Das wäre doch eine Bühne für Breguet oder Blancpain gewesen.

Für Händler und Journalisten, ja. Aber für uns steht der Konsument im Mittelpunkt. Wir schicken unsere Teams lieber nach New York, Los Angeles oder Chengdu als an eine Messe in Genf. Trends und Bedürfnisse der Kunden erkennt und weckt man vor Ort bei den Konsumenten, nicht in einem geschützten Genfer Biotop.

Ein Finanzinvestor hat Ihre Luxusstrategie jüngst kritisiert.

Dieser Investor war bei mir, weil er die Branche besser verstehen wollte. Ich habe ihm offenherzig erklärt, was wir alles herstellen. Dass beispielsweise Nivarox die winzigen Regulierorgane wie Unruhspiralen und Hemmungen fertigt, ohne die keine mechanische Uhr läuft. Nivarox beliefert rund 70 Prozent der Schweizer Uhrenindustrie – und ist damit das Herzstück der Schweizer Uhrmacherei. Ich habe ihm auch erklärt, was Breguet ist und wie viel Potenzial die Marke noch hat, und ihm erklärt, wo wir in Zukunft noch Verbesserungspotenzial sehen. Vieles von dem, was er später öffentlich sagte, stammte nicht von ihm, sondern direkt aus diesem Gespräch.

Dieser Finanzinvestor wollte sich an der letzten Generalversammlung in den Verwaltungsrat wählen lassen, hat es aber nicht geschafft. Rechnen Sie mit einem juristischen Nachspiel oder damit, dass er eine ausserordentliche GV einberuft?

Als Unternehmer kann ich die Gedanken eines Finanzinvestors nicht lesen, und ich habe leider auch keine Kristallkugel.

Wären Sie nicht mehr an der Börse, müssten Sie sich damit nicht herumschlagen.

Die Börse stört uns nicht, hat uns noch nie gestört, und wir planen auch kein Going-private. Mich stört eine bestimmte Börsenmentalität, die den Erfolg einer Firma nur am Kurs misst – statt auch auf Bilanz und langfristige Strategie zu schauen. Gewisse Investmentfonds und Pensionskassen treiben die Unternehmen zu immer mehr Profit, um den Aktienkurs zu steigern. Dass Apple schon von Beginn weg nicht in die USA investiert hat, hat nichts mit fehlenden Fachkräften zu tun. Diese hätten sie schon lange ausbilden können, aber dann hätte der Gewinn nicht auf diesem hohen Level bleiben können. Man kann nicht 40 Prozent Betriebsgewinn machen, wenn man in den USA produziert. Dieses System sollte durchbrochen werden. Elon Musk ist noch ein richtiger Unternehmer, der in den USA eine industrielle Basis aufgebaut hat.

. . . was nur dank der Börse funktioniert hat.

Da mache ich einen Unterschied. Wenn Sie Geld brauchen, ist die Börse oder Private Equity sicher eine Option. Und wer dann als Gründer oder früher Investor einen Börsengang anstrebt, hat das Risiko mitgetragen und darf auch schnell eine Rendite verlangen und erwarten. Bei der Swatch Group ist die Situation etwas anders.

Wie meinen Sie das?

Die Mehrheit unserer institutionellen Aktionäre hat ihre Aktien vermutlich erst an der Börse erworben – im vollen Bewusstsein, wie unsere Strategie aussieht. Wir sind ein industrielles Unternehmen, das in der Schweiz produziert. Wir behalten unsere Mitarbeiter auch in Krisen. Wir investieren viel in Forschung und Entwicklung und auch in die Produktionsmittel. Das Geld dieser Aktionäre ist nicht Teil unserer Wertschöpfungskette, sondern fliesst nur zwischen den Aktionären.

Also ist der Aktionär für Sie kein gleichberechtigter Miteigentümer?

Nicht in dem Sinn. Natürlich sind alle Aktionäre gleichberechtigt, und wir haben uns auch nie als Grossaktionär Vorteile verschafft. Mein Vater war gemeinsam mit anderen ein Investor der ersten Stunde. Er hat sein eigenes Geld zusammen mit anderen riskiert. Wenn heute jemand an der Börse Swatch-Group-Aktien kauft, geht dieses Geld ja nicht an die Swatch-Gruppe. Das Risiko des Investors ist einzig der Aktienkurs. Der Verwaltungsrat muss für alle Stakeholder schauen – sein Personal, seine Partner und seine Kunden und natürlich auch für die Aktionäre. Darum zahlen wir auch Dividenden. Was wir aber nicht machen, ist, als erste und oberste Priorität nur den Aktienkurs zu pflegen.

DER UHREN-PATRON

Nick Hayek, 70, prägt die Swatch Group seit 2003 als Konzernchef. Vor seinem Einstieg in die Uhrenbranche war er in der Filmwelt tätig: In Paris gründete er Mitte der 1980er Jahre seine eigene Produktionsfirma, drehte preisgekrönte Kurz- und Langfilme und arbeitete mit Grössen wie Peter Fonda. Anfang der 1990er Jahre stellte er für die Marke Swatch Werbefilme her. Das war sein Einstieg in die von seinem Vater Nicolas Hayek aus angeschlagenen Uhrenfirmen gegründete SMH, die später in Swatch Group umbenannt wurde.

Beat Balzli, Andrea Martel, «Neue Zürcher Zeitung»

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