Elsa, die Hauptfigur des beliebten Films «Frozen», gehört zu den über 200 Charakteren, die Disney an Open AI lizenziert. (Capital Pictures via Imago)
Technologie
16.12.2025 | nzz.ch
Disneys KI-Deal mit Open AI ist kluges Marketing, aber er gefährdet die Kreativität
Mickey Mouse, Elsa, Buzz Lightyear: Die Kultfiguren von Disney sind künftig Teil der KI-Dienste von Open AI. Der Vorstoss treibt Disneys Recycling alter Inhalte auf die Spitze.
Wie wäre es, wenn Elsa aus dem Animationsfilm «Frozen» die nächsten Geburtstagswünsche für Ihre Kinder singt? Oder Sie Ihren Arbeitskollegen am Montagmorgen einen Motivationsgruss von Luke Skywalker schicken?
Das soll künftig möglich sein. Die Firma Walt Disney kündigte vergangene Woche an, eine Milliarde Dollar in Open AI zu investieren. Und 200 ihrer Kultfiguren von Disney, Marvel, Pixar und «Star Wars» an die KI-Firma Open AI zu lizenzieren. Damit sollen Nutzer in Chat-GPT und Sora, der Video-App von Open AI, Inhalte mit ihren Lieblingshelden generieren können.
Disney zahlt Open AI gegen eine Beteiligung und Optionsscheine viel Geld und legt seine Figuren obendrauf. Das zeigt, dass der Medien- und Unterhaltungskonzern auf eine Wende in der Branche spekuliert. Doch die Wette ist riskant.
Neue Dynamik im Streit zwischen KI und Hollywood?
Filmstudios sind seit Jahren im Streit mit KI-Firmen. Im Sommer 2023 streikten Kreative in ganz Hollywood, weil sie befürchteten, durch KI ersetzt zu werden. Als im Oktober eine durch KI generierte Schauspielerin am Zurich Film Festival einen Auftritt hatte, war der Aufschrei in der Branche enorm.
Disney selber führt derzeit einen Urheberrechtsstreit mit der Bild-KI Midjourney. Und schickte noch an demselben Tag, an dem das Open-AI-Geschäft angekündigt wurde, ein Unterlassungsschreiben an Google. Der Vorwurf: Google habe die Werke von Disney genutzt, um damit KI-Modelle zu trainieren.
Doch mit der Lizenzvereinbarung mit Open AI macht Disney einen grossen Schritt auf die KI-Branche zu. Es ist das erste Hollywoodstudio, das Rechte an seinen Figuren an Open AI vergibt.
Das ist ein Wendepunkt in der Film- und Medienindustrie. KI-Firmen nutzen die Inhalte der Kreativbranche seit langem, um damit ihre Modelle zu trainieren. Warum das nicht für sich selbst nutzen, mag das Disney-Management gedacht haben.
Disney verdient an der Nostalgie seiner Fans
Die Zusammenarbeit mit Open AI verspricht Kontrolle. So sind beispielsweise Stimmen und Gesichter von Schauspielerinnen und Schauspielern von der Lizenzierung ausgenommen. Zumindest vorerst.
Doch die Investition ist mehr als Schadensbegrenzung. Sie ist unternehmerisches Kalkül.
Von einem pragmatischen Standpunkt aus gesehen ist die Lizenzierung der Charaktere eine Marketingausgabe. Will Disney in der digitalen Welt stattfinden, muss es seine Inhalte unter die Leute bringen. Das geht besonders einfach, wenn es seine Nutzer die Videos gleich selbst erstellen und verbreiten lässt.
Disney verdient an der Treue seiner Fans. Der Konzern ist Meister darin, seine Marken auszuschlachten und Nostalgie heraufzubeschwören. Das Vermächtnis des 102 Jahre alten Traditionshauses wird in einer Endlosschleife von Prequels, Sequels, Spin-offs und Neuverfilmungen weiterverwertet.
Disney ist längst eine konstante Selbstreferenz. Und genau hier kommt der Haken. Wenn der Konzern seine Fans dazu aufruft, seine Klassiker durch generative KI in neue Formen zu giessen, treibt er das Recycling alter Inhalte auf die Spitze.
Die Falle der generativen Durchschnittlichkeit
Weil KI nur mit bereits bestehenden Inhalten trainiert werden kann, basiert sie per Definition auf Recycling. Disney sollte sich davor hüten, seine Inhalte durch die Verwertung mit KI noch generischer zu machen.
Nicht nur Disneys Kreativität steht auf dem Spiel, sondern auch die Arbeit der Kreativen hinter den Figuren. Zum Deal mit Open AI gehört auch, dass Disney dessen KI-Modelle verstärkt nutzen wird.
Verbände von Kreativen in der Branche äussern sich besorgt. Disney dreht bereits heute Sci-Fi-Serien vor digitalen Hintergründen und verjüngt Schauspieler per Computer. Die Zusammenarbeit mit Open AI lässt vermuten, dass die Automatisierung in Zukunft ausgeweitet wird.
Disney betont, dass der Vorstoss in die KI den Kreativen nicht schade. Es bleibt zu hoffen, dass der Konzern recht behält. Er sollte sich davor hüten, diejenigen zu entmachten, auf deren Arbeit sein Erfolg aufbaut. Und die für ihn dringend Neues schaffen müssen.
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