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Das Schweizer Erfolgsrezept

Die Schweiz trumpft mit Balance: Genug Freiraum für Tüftler, aber auch genug Regeln, damit aus Ideen starke Unternehmen werden.

Das Schweizer Erfolgsrezept

Wirtschaft

28.11.2025 | Alexander E. Brunner

Das Schweizer Erfolgsrezept

Im globalen KI-Wettbewerb geht die kleine Schweiz ihren eigenen Weg: dezentral, offen und getragen von einem pragmatischen «Freedom to Innovate»-Ansatz. Was noch fehlt, ist ein dezidiertes «Buy Swiss Tech»-Bekenntnis.

Der Kampf um die Vorherrschaft in der KI-Branche ist heftiger denn je. Länder wetteifern um die Spitzenposition und investieren erhebliche Mittel und Ressourcen. Angesichts der geballten Innovationskraft, wie sie die USA derzeit eindrucksvoll demonstrieren, fällt es kleineren Staaten schwer, Schritt zu halten. In diesem rasanten Wettlauf hat sich die Schweiz – mit nur neun Millionen Einwohnern – zu einem weitherum respektierten Mitbewerber entwickelt. Doch stellt sich die Frage, wie sich die Schweiz in Zukunft schlagen wird.

Das Buch «The Big Swiss AI Secret»(siehe Kasten) geht genau dieser Frage nach, wie die Schweiz in verschiedenen bahnbrechenden Technologien, von Krypto bis zu KI, weltweit vorne mit dabei sein kann. Das Buch beruht auf über 100 Interviews mit führenden Schweizer KI-Experten, von Unternehmern bis zu Investoren und von Politikern bis zu Professoren. Leser des Buches lernen nicht nur eine Vielzahl von KI-Anwendungen kennen, sondern auch, welche Erfolgsfaktoren für Innovationen entscheidend sind.

Krypto als Schlüssel

Um besser zu verstehen, wie die Schweiz in einem globalen KI-Wettbewerb bestehen kann, lohnt sich ein Blick auf eine andere Schweizer Erfolgsgeschichte aus dem Technologiesektor: den weltweiten Aufstieg des Crypto Valley in Zug. Seit der Ankunft der ersten Kryptounternehmen hat sich die Schweiz zu einem führenden Zentrum für Blockchain-Technologie entwickelt. Die ersten Kryptounternehmen wurden 2013 gegründet, und Zug entwickelte sich rasch zu einem globalen Blockchain-Hub. Bald folgten andere Kantone, die günstige Rahmenbedingungen boten: Zürich mit seinem starken Bankensektor, das Tessin als Startup-Hub sowie die französischsprachige Schweiz mit lebendigen Unternehmergemeinschaften.

In nur einem Jahrzehnt hat sich das, was in Zug begann, auf das ganze Land ausgeweitet. Die Online-Kryptopublikation Coindesk platzierte das Schweizer Crypto Valley bereits im Jahr 2023 auf Platz eins, noch vor den USA, Grossbritannien und der EU. Dieser Erfolg wurde ohne nationale Kryptostrategie oder staatliche Investitionen erreicht, ganz im Gegenteil. Erst nachdem erste Erfahrungen mit der Blockchain gesammelt wurden, führte der Bund im Jahr 2021 ein Blockchain- Rahmengesetz ein, anstatt hastig mit einer unausgereiften Regulierung vorzupreschen.

Das hochgradig förderliche Technologieumfeld der Schweiz hat nicht nur die Grundlage für den Erfolg des Crypto Valley gelegt, sondern auch für deren Expertise in der KI: Im «Global AI Index» von Tortoise Media rangiert die Schweiz bezüglich KI- Intensität, der KI-Kompetenz im Verhältnis zur Bevölkerung und Grösse der Wirtschaft, auf Platz vier, knapp hinter den USA. Die Schweiz beherbergt einige der erfolgreichsten KI-Startups, von denen viele aus der ETH hervorgegangen sind. In den vergangenen 51 Jahren hat die ETH 615 Ausgründungen hervorgebracht, von denen viele heute führend in ihren Branchen sind. Viele davon sind auch im Finanzbereich mit KI-Lösungen unterwegs.

Platzhirsche der KI-Branche

Aisot Technologies ist ein Zürcher ETH-Spin-off, das KI- und Machine-Learning-Lösungen für Asset Manager entwickelt. Das Unternehmen bietet eine Plattform an, die Vermögensverwaltern dabei hilft, Portfolios schneller zu erstellen, Analysen zu automatisierenund bessere Anlageentscheidungen zu treffen.

Mit Tools wie der «AI Insights Platform» oder dem «Investment Co-Pilot» analysiert das Unternehmen grosse Datenmengen, erstellt individualisierte Portfolios und liefert erklärbare Prognosen. Unique AG ist ein weiteres Zürcher KI-Unternehmen, das sich auf agentische KI-Lösungen für Finanzinstitute spezialisiert hat, insbesondere im Wealth Management, im Private Banking und in der Vermögensverwaltung. Die Plattform automatisiert komplexe, datenintensive Prozesse wie Neukundenprüfung, Research, Due Diligence und Compliance und bietet eine breite Palette an individuell anpassbaren KIAgenten an. Unique arbeitet bereits mit grossen Finanzhäusern wie Pictet, LGT und SIX Group zusammen. Im Februar 2025 konnte Unique in einer Series-A-Finanzierungsrunde 30 Millionen Dollar abschliessen und expandiert derzeit in die USA. Das Schweizer Innovationsmodell setzt somit auf einen dezentralen, kollaborativen Ansatz, bei dem lokale Akteure gemeinsam Probleme lösen und Technologien weiterentwickeln. Dieses Modell, das auf kleinen, schnellen Iterationen basiert, steht im Gegensatz zu den zentral gesteuerten Grossprojekten vieler anderer Länder, wie sie derzeit in den USA mit ihrem Brute- Force-Innovationsansatz im Bereich der KI praktiziert werden.

Der dezentrale Ansatz schafft ein wettbewerbsfähiges Umfeld, in dem Ideen schnell getestet und an lokale Bedürfnisse angepasst werden können. Diese Flexibilität ermöglicht es dem Schweizer KI-Ökosystem, sich rasch zu entwickeln und an technologische sowie globale Veränderungen anzupassen.Das Schweizer Gleichgewicht zwischen Freiheit und pragmatischer Regulierung macht das Land für Tech-Unternehmen attraktiv. Diese Kultur der Offenheit und Dezentralisierung stärkt auch das KI-Ökosystem.

Freiheit und Pragmatik

Genau diese Kombination aus unternehmerischer Freiheit und pragmatischer Regulierung ist für Innovation äusserst entscheidend, wie Carl Benedikt Frey in seinem Buch «How Progress Ends» erläutert. Frey stellt detailliert dar, wie unternehmerische, institutionelle und kulturelle Kräfte Perioden des technologischen Fortschritts und der Stagnation auf der ganzen Welt geprägt haben. Dabei zieht Frey, ein Ökonom und Wirtschaftshistoriker, aktuelle Lehren für die heutigen politischen Entscheidungsträger im globalen KI-Wettbewerb heran. Für Frey eignen sich zentralisierte Systeme gut zum Skalieren bekannter Technologien, dezentralisierte Systeme hingegen sind bei der Entdeckung neuer technischer Wege überlegen.

Wie wichtig die Balance zwischen unternehmerischer Freiheit und pragmatischen Rahmenbedingungen ist, haben auch die diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt in ihren Arbeiten aufgezeigt. Damit Innovationen wirken können, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Zu diesen gehört eine Gesellschaft, die offen gegenüber neuen Ideen ist und Innovationen nicht durch etablierte Interessengruppen blockiert. Im Weiteren ist eine solide wissenschaftliche Basis entscheidend. Zuletzt spielt eine grosse soziale Mobilität eine Rolle: Wenn nur wenige Zugang zu Bildung oder Möglichkeiten haben, wird das Innovationspotenzial nicht vollständig genutzt.

Die unternehmerische Freiheit, die «Freedom to Innovate», ist somit das grosse Geheimnis der Schweiz, begründet auf einem stark föderalen politischen System und einer offenen Gesellschaft. Sie ermöglicht es der Schweiz, klug und interdisziplinär auf Technologietrends zu reagieren und dadurch den bescheidenen Binnenmarkt optimal auszunutzen. Doch es gibt noch Verbesserungspotenzial. Obwohl Schweizer KIStartups landauf, landab für ihre Innovationskraft gelobt werden, ist der Einsatz von Schweizer KI- Lösungen bei grossen Unternehmen wie der Verwaltung noch bescheiden.

Denn Schweizer Startups in einem kleinen Binnenmarkt sind darauf angewiesen, dass hiesige Unternehmen schnell zu Kunden werden. Andererseits müssen Startups auch Wachstum über die Landesgrenzen hinweg suchen, dazu brauchen sie Wachstumskapital.

Fokus auf hiesige Lösungen

Gemäss dem Swiss Tech Report 2025 werden jedoch ganze 96 Prozent der Finanzierungen im Late-Stage-Bereich von US-amerikanischen und europäischen Investoren ausgerichtet. Der Schweiz fehlt es somit nicht nur an hiesigem Wachstumskapital, sondern auch an einer starken inländischen Nachfrage, die das Wachstum von Startups beschleunigt. Wie wichtig dies ist, hat OpenAI in letzter Zeit durch weitreichende Partnerschaften mit Microsoft, Nvidia und vielen weiteren Firmen aufgezeigt.

Um weiterhin weltweit im sich stark beschleunigenden KI-Wettbewerb bestehen zu können, braucht die Schweiz nicht nur Weltklasseforschung, sondern auch «Early Adopters» bei Schweizer Unternehmen und in der Verwaltung. Hier kann die Schweizer Wirtschaft und Verwaltung unmittelbar ansetzen und dezidiert auf «Buy Swiss Tech» setzen, statt immer zuerst auf amerikanische Lösungen zuzugreifen. Dies würde auch das Schweizer KI-Ökosystem signifikant beleben. Dafür braucht es nicht nur lobende Worte für die Schweizer Innovationskraft, sondern in erster Linie innovationsbegeisterte Kunden aus dem eigenen Land.

Alexander E. Brunner

Alexander E. Brunner studierte an der renommierten Universität St. Gallen (HSG) in der Schweiz, bevor er internationale Erfahrung im Bereich alternative Anlagen und Hedgefonds sammelte. Er ist CEO von Brunner Digital, einer Beratungsfirma, die mit globalen Technologieunternehmen und Regierungsbehörden zusammenarbeitet. Das Unternehmen unterstützt internationale Fintech-, Blockchain- und KI-Unternehmen beim Eintritt in den Schweizer Markt. Brunner tritt häufig als internationaler Sprecher auf und war zuvor Mitglied des Zürcher Gemeinderats sowie Offizier der Schweizer Armee.

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