KMU+

Die Billionen-Wette: 17 Jahre nach der Finanzkrise lösen verbriefte Kredite wieder Nervosität aus

Es gibt Stimmen, die eine Neuauflage der globalen Finanzkrise befürchten. (Adobe Stock)

Die Billionen-Wette: 17 Jahre nach der Finanzkrise lösen verbriefte Kredite wieder Nervosität aus

Wirtschaft

4.11.2025 | nzz.ch

Die Billionen-Wette: 17 Jahre nach der Finanzkrise lösen verbriefte Kredite wieder Nervosität aus

Ein bankrotter Autozulieferer, Milliarden fauler Kredite und Erinnerungen an 2008: Der Konkurs von First Brands sorgt an der Wall Street für Unruhe. Im Fokus stehen wie schon damals Finanzvehikel, die Kredite bündeln.

Jamie Dimon sagt, was er denkt. Als der amerikanische Autozulieferer First Brands in diesem Herbst Konkurs ging und seine Kredite nicht mehr bediente, erklärte der CEO der Bank JP Morgan in einer Telefonkonferenz mit Investoren: «Ich sollte das wahrscheinlich nicht sagen, aber wenn man eine Kakerlake sieht, gibt es wahrscheinlich noch mehr. Jeder sollte sich dessen bewusst sein.» Dimon spielte auf das Jahr 2007 an, als erste Hedge-Fonds-Insolvenzen die globale Finanzkrise einleiteten.

Kakerlaken verstecken sich dort, wo es warm ist und Essensreste liegen. Die Suche nach faulen Unternehmenskrediten ist schwieriger.

First Brands, ein Hersteller von Zündkerzen, Scheibenwischern und anderen Auto-Kleinteilen, hatte über 10 Milliarden an Fremdkapital aufgenommen, das wahre Ausmass seiner Schulden gegenüber seinen Gläubigern aber verschleiert. Am 28. September musste das Unternehmen Insolvenz anmelden.

Die faulen Kredite von First Brands steckten unter anderem in Lieferketten-Finanzierungs-Vehikeln. Diese versorgen Firmen, die unbezahlte Rechnungen nicht selber eintreiben wollen, vorab mit Liquidität. Mindestens 2,6 Milliarden Dollar befanden sich aber auch in über 1000 Collateralized Loan Obligations (CLO). Das sind Finanzvehikel, die eine Vielzahl von Bankkrediten an stark verschuldete Unternehmen bündeln und an Investoren weiterverkaufen.

Verpacktes Risiko

Das wichtigste Verkaufsargument der CLO-Herausgeber lautet: Wer sein Geld über mehrere hundert Kredite verteilt investiert, wird nicht aus der Bahn geworfen, wenn eine Handvoll davon ausfällt. Zudem sind die CLO so strukturiert, dass risikobereite Investoren einen Grossteil der Ausfälle auffangen und alle anderen Anteilsinhaber mit weniger risikobehafteten «Tranchen» sich schadlos halten.

Die CLO können deshalb ihre eigenen Anleihen zu einem grossen Teil mit einem Triple-A-Rating verkaufen, was der höchsten Bonitätsstufe entspricht, obwohl sie grösstenteils in Kredite unterhalb der Anlagequalität investieren, also in Schuldner mit Rating im Bereich BB oder B. Die CLO-AAA-Tranchen bieten eine höhere Rendite als herkömmliche AAA-Anleihen.

Das funktioniert gut: Der Markt – sowohl in den USA als auch international – hat in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt und ist auf über eine Billion Dollar angewachsen. Die Investoren wetten darauf, dass verbriefte Kredite eine Zukunft haben. Die jährliche Wachstumsrate des CLO-Marktes liegt bei rund 10 Prozent.

«Alte Ideen in neuer Verpackung»

Doch es gibt Stimmen, die am Markt eine gefährliche Nachlässigkeit im Umgang mit verbrieften Firmenkrediten sehen. Sie befürchten eine Neuauflage der globalen Finanzkrise. Einer von ihnen ist der amerikanische Finanzprofessor John M. Griffin. Er beriet nach der Krise 2008 das amerikanische Justizministerium bei Untersuchungen gegen die Rating-Agenturen und lehrt heute an der University of Texas.

Finanzprofessor John M. Griffin.

Finanzprofessor John M. Griffin.PD

«Es fühlt sich alles an wie ein Déjà-vu», sagt Griffin im Gespräch mit der NZZ, «wenn ich auf die Finanzkrise zurückblicke und mir den heutigen Markt anschaue, sehe ich fast dieselben Probleme.» Das Einzige, was bis jetzt gefehlt habe, um die Schwächen der CLO-Konstrukte aufzudecken, sei, dass es noch keinen grossen Zusammenbruch gegeben habe: «Eines Tages wird es so weit sein, und dann werden die Menschen sagen: Wow, das ist wirklich unglaublich.»

Ähnlich äussert sich Marc Chesney, emeritierter Finanzprofessor an der Universität Zürich: «CLO sind nichts anderes als alte Ideen in neuer Verpackung.» Die Verbriefung der Kredite liefere Anreize, die einzelnen Schuldkontrakte nicht genau genug zu analysieren. «Wenn die Krise ausbricht, ist die Diversifikation plötzlich weg.»

Historische Belege für ihre pessimistischen Einschätzungen haben Griffin und Chesney nicht. Bis heute haben die Verfechter der CLO recht behalten: Es ist noch nie zum Ausfall einer CLO-Triple-A-Anleihe gekommen. Selbst in der globalen Finanzkrise hielten CLO den Turbulenzen stand. Um die Risiken der Produkte zu verstehen, lohnt sich trotzdem ein Blick in die Vergangenheit.

Plötzlich fielen die Kredite gleichzeitig aus

Am Anfang der globalen Finanzkrise 2007 und 2008 standen Vehikel, die den CLO von heute in vieler Hinsicht ähnlich sind. Damals hiessen sie Collateralized Debt Obligations (CDO). Statt Unternehmenskredite bündelten sie Hypotheken. Auch ihr Kreditrating war tiefer als das der Anleihen, die danach den Investoren verkauft wurden. Die Herausgeber argumentierten ebenfalls, dass sich aufgrund der hohen Zahl an Hypotheken das Risiko für den einzelnen Gläubiger reduziere. Auch damals lautete das Zauberwort Diversifikation.

Ein Trugschluss, wie sich später herausstellte: Als die Finanzkrise ausbrach, fielen viel mehr Hypotheken gleichzeitig aus, als es die Modelle vorhergesagt hatten. Das lag auch daran, dass die Herausgeber der CDO Hypotheken von Hausbesitzern mit katastrophaler Bonität in die Produkte gepackt hatten. Die Rating-Agenturen durchschauten die sich anbahnende Katastrophe nicht und gaben den CDO-Tranchen höchste Bonität.

In «The Big Short» erklärt der Schauspieler Ryan Gosling die Ursache der globalen Finanzkrise so: «Bei CDO nehmen wir eine Reihe von B- und BB-Anleihen, die sich nicht verkauft haben, und legen sie auf einen Stapel. Wenn der Stapel gross genug ist, gilt das Ganze plötzlich als diversifiziert. Und die (. . .) Rating-Agenturen geben ihm ein AAA-Rating. Ohne Fragen zu stellen.»

AdobeStock_1568223660.jpeg

Nach der Finanzkrise 2008 leider kein seltenes Bild: eine Zwangsversteigerung. (Adobe Stock)

Ein faules Ei

Heute bezeichnen Vertreter des CLO-Marktes und auch der Rating-Agenturen Vergleiche mit der Finanzkrise 2008 als Panikmache. Sie zeigten sich nach dem Ausfall der First-Brands-Kredite zuversichtlich, dass es sich dabei um einen «idiosynkratischen Einzelfall» handelt. Der Anteil der First-Brands-Kredite in den meisten CLO belaufe sich im Mittel auf 0,5 Prozent.

Doch nur eine einzelne Kakerlake? Die Rating-Agentur Moody’s betonte, dass die Konzentration der First-Brand-Kredite in den meisten CLO «relativ bescheiden» sei und dass die in den CLO vorgesehene Diversifikation die Investoren schütze. Ein Vertreter von S&P Global schrieb nach dem Konkurs auf Linkedin: «Die Diversifizierung der Vermögenswerte und andere strukturelle Merkmale begrenzen das Risiko für die meisten CLO.» Auch die Rating-Agentur Fitch bezeichnete die Auswirkungen der First-Brands-Pleite auf dem CLO-Markt als begrenzt.

Das sieht auch der Basler Finanzprofessor Pascal Böni so. Er betrachtet den je nach Schätzung zwischen mehreren hundert Milliarden bis zu über 1 Billion Dollar schweren CLO-Markt nicht als Bedrohung für das globale Finanzsystem. «Zum Vergleich: Der globale Aktienmarkt umfasst ungefähr 130 Billionen US-Dollar, der weltweite Anleihenmarkt etwa 145 Billionen US-Dollar.» Der Markt für CLO-Produkte wachse überproportional stark, doch die Qualität der Kredite bleibe stabil.

Fakt ist allerdings auch: Der CLO-Markt ist heute bereits grösser als der CDO-Markt im Jahr 2007.

Problematisch findet Böni hingegen, wenn Banken im grossen Stil in CLO-Vehikel investieren, um ihre Eigenmittelbewirtschaftung zu optimieren. «Eine Bank, die früher einem KMU direkt einen Kredit gegeben hat, verpackt diesen Kredit heute in eine strukturierte Tranche, weil sie dann weniger regulatorisches Risikokapital hinterlegen muss.» Daraus könne ein neues, bisher unterschätztes Risiko entstehen.

Die Rolle der Rating-Agenturen

John Griffin glaubt dennoch, dass der CLO-Markt eines Tages explodieren könnte. Aufgrund seiner Analysen ist er überzeugt, dass die Kredite in den CLO-Vehikeln bei einer nächsten Systemkrise häufiger gleichzeitig ausfallen, als es die Modelle der Rating-Agenturen vorhersagen. Denn nicht nur die CLO-Anleihen selbst, sondern auch die Kredite in den CLO-Vehikeln seien zu positiv bewertet.

Schon zu Beginn der Covid-Krise im ersten Quartal 2020 hätte laut Griffin eine neue Finanzkrise ausbrechen können. Damals jedoch hätten die Zentralbanken die Zinsen so stark gesenkt und die Regierungen die Staatsausgaben dermassen erhöht, dass man von einem kollektiven Bail-out sprechen musste.

In einem Forschungspapier kritisiert Griffin, dass die Rating-Agenturen wie schon in der Finanzkrise die CLO-Tranchen nicht schnell genug herabgestuft hätten. Er gehe davon aus, dass diese sich immer noch in den gleichen Interessenkonflikten befänden wie vor 18 Jahren. Die Rating-Agenturen wollen sich auf Anfrage der NZZ nicht äussern und verweisen auf ihre Research-Berichte.

Jetzt gibt es auch CLO-ETF

Derweil erhält ein immer breiteres Anlegerpublikum Zugang zu den CLO-Strukturen. Die Schweizer Grossbank UBS hat diesen Sommer einen CLO-ETF lanciert, der in Triple-AAA-Tranchen von CLO-Vehikeln investiert. Und bewirbt diesen damit, dass AAA-CLO-Tranchen eine höhere Rendite als Unternehmensanleihen mit vergleichbarem Rating bieten. Seit Bestehen des Marktes habe es noch nie einen Ausfall bei einem CLO mit AAA-Rating gegeben, betont die Bank auf ihrer Website. Bisher haben Anleger etwas weniger als 100 Millionen Euro in den ETF investiert.

Auf Anfrage der NZZ wollte sich die Bank nicht dazu äussern: «Es ist korrekt, dass wir ein entsprechendes Produkt lanciert haben. Besten Dank für Ihr Verständnis, wenn wir darüber hinaus keine weiteren Angaben machen.»

Lorenz Honegger, André Müller «Neue Zürcher Zeitung»

Exklusiver Inhalt aus den Medien der NZZ. Entdecken Sie die Abonnemente für die «Neue Zürcher Zeitung» und die «NZZ am Sonntag» hier.

Das könnte Sie auch interessieren:

Nach den Jugendlichen und den Frauen erhalten nun auch die KMU ihre Sondersession im Bundeshaus

Wirtschaft

Nach den Jugendlichen und den Frauen erhalten nun auch die KMU ihre Sondersession im Bundeshaus

Im November tagt ein neues Parlament – das KMU-Parlament mit 46 Firmenvertretern. Rund achtzig Vorstösse von den Neo-Parlamentariern liegen zur Debatte bereit.

Bundesrat will einfacheren Zugang der Industrie zur Exportversicherung

Wirtschaft

Bundesrat will einfacheren Zugang der Industrie zur Exportversicherung

Staatskrücken für die Industrie sind global im Vormarsch. Die Schweiz hält sich im internationalen Vergleich zurück – auch bei der Exportförderung. Der Bundesrat will der staatlichen Exportversicherung aber mehr Spielräume geben.

Kantonalbanken, SBB und Migros-Pensionskasse klagen gegen Bund wegen AT1-Anleihen der CS

Wirtschaft

Kantonalbanken, SBB und Migros-Pensionskasse klagen gegen Bund wegen AT1-Anleihen der CS

Auch namhafte Investoren in der Schweiz haben durch die staatlich verordnete Abschreibung der AT1-Anleihen Geld verloren. Nun sind die die Betroffenen im Austausch mit den Geiern der Finanzwelt.

Title
Bestätigen