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In der Schweiz liegt die Zahl der Firmenkonkurse auf einem Rekordniveau

Unternehmen aus der Maschinenbau-, Elektro- und Metallindustrie leiden besonders unter der angespannten Wirtschaftslage. (Adobe Stock)

In der Schweiz liegt die Zahl der Firmenkonkurse auf einem Rekordniveau

Wirtschaft

9.9.2025 | nzz.ch

In der Schweiz liegt die Zahl der Firmenkonkurse auf einem Rekordniveau

Schon 2024 mussten so viele Unternehmen ihren Betrieb einstellen wie noch nie. Im laufenden Jahr zeichnet sich ein weiterer Anstieg ab. Die Krise trifft Firmen aus den verschiedensten Branchen.

In vielen Schweizer Unternehmen liegen die Nerven blank. Unter Druck stehen vor allem Firmen, die in der Exportwirtschaft tätig sind. Sie leiden unter der schwachen Weltkonjunktur und der grossen Unsicherheit, welche die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sowie die zahlreichen Zoll- und Handelsstreitigkeiten auslösen.

Manche Kunden halten sich vor diesem Hintergrund mit Investitionen lieber zurück. Dadurch leeren sich die Auftragsbücher vieler Firmen bedenklich. Und weil zu wenig Arbeit vorhanden ist, sehen sich Unternehmen zunehmend zu Restrukturierungsmassnahmen genötigt.

Viele Firmen haben keinen Handlungsspielraum mehr

Besonders angespannt ist die Situation in der Maschinenbau-, Elektro- und Metallindustrie: «Zahlreiche Firmen bereiten Abbau- und Verlagerungspläne vor. Entlassungen sind unausweichlich», teilte der Branchenverband Swissmem vorletzte Woche mit. Die Schwesterorganisation Swissmechanic, die primär die Interessen kleinerer Industriebetriebe vertritt, hielt zugleich fest: «Die Margenerosion hält nun seit elf Quartalen an und wirkt sich zunehmend auf Investitionen und Beschäftigung aus.»

So schmerzhaft Investitionsstopps, Entlassungen oder Verlagerungen für die Betroffenen sind, zeigen solche Massnahmen immerhin, dass die Unternehmen noch einen gewissen Handlungsspielraum haben. Viele Betriebe sind in der Schweiz allerdings bereits in eine derart aussichtslose Lage gerutscht, dass ihnen nur noch die Liquidation bleibt.

Bereits 2024 war die Zahl der Firmeninsolvenzen um 15 Prozent auf den Rekordstand von fast 11 500 Fällen geklettert. Im laufenden Jahr zeichnet sich ein noch deutlich höheres Niveau ab. Nachdem es bereits von Januar bis August zu fast 9000 Konkursen gekommen ist, rechnet die schweizerische Gläubiger-Interessenvereinigung Creditreform mit insgesamt rund 15 000 Fällen.

Offene Steuerforderungen beschleunigen Konkurse

Claude Federer, der Geschäftsführer von Creditreform, führt den sprunghaften Anstieg in erster Linie auf eine Gesetzesänderung zurück, die Anfang dieses Jahres in Kraft trat. Sie erlaubt nun auch Steuerämtern, Ausstände auf dem Weg der Konkursbetreibung einzufordern. Weil dies in der Vergangenheit nicht passierte, konnten sich manche Firmen zumindest noch eine Weile über Wasser halten. «Sie wären sonst längst gezwungen gewesen, ihre Bilanz zu deponieren», sagt Federer.

Auch Lukas Glanzmann, Partner bei der Anwaltskanzlei Baker McKenzie und Titularprofessor für Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen, sieht die Gesetzesreform als Ursache vieler Insolvenzen. Nach seiner Einschätzung treiben Firmen indes schon länger mehrere überlagernde negative Effekte in Nöte. So gebe es weiterhin Unternehmen, die während der Pandemie dank staatlichen Covid-Krediten künstlich am Leben gehalten worden seien, sich nun aber nicht mehr refinanzieren könnten.

Die gestiegenen Finanzierungskosten sind laut Glanzmann auch für viele andere Firmen zum Problem geworden. Dazu gesellten sich die angespannte Konjunktursituation und jüngst der Zollhammer.

Glanzmann gibt zugleich zu bedenken, dass die Auswirkungen des amerikanischen Strafzolls von 39 Prozent wohl erst in ein paar Monaten verstärkt zu Insolvenzen führten. «Im Moment ist es dafür noch zu früh», sagt der Rechtsexperte.

Was die Branchenzugehörigkeit der klammen Firmen betrifft, stellt man bei Baker McKenzie keine besonderen Muster fest. Es seien, sagt Glanzmann, Unternehmen querbeet betroffen.

Besonders viele Insolvenzen im Bausektor

Dieselbe Erfahrung macht Karsten Lafrenz, der sich bei der Beratungsfirma Alix Partners schwergewichtig mit Restrukturierungen und Sanierungen beschäftigt. Man erhalte ausser aus der Maschinenbauindustrie oder dem Segment der Autozulieferer auch Anfragen von Konsumgüterherstellern und Chemieunternehmen. Die hohen Energiepreise in der Schweiz sind laut Lafrenz ein weiterer Faktor, der vielen Betrieben stark zu schaffen macht.

Claude Federer von Creditreform stellt fest, dass zurzeit jede fünfte Publikation eines Firmenkonkurses auf den Bausektor entfällt. Allerdings habe der Bau schon 2024 einen ähnlich hohen Anteil erreicht, und die Probleme des Sektors deckten sich mit den Erfahrungen aus früheren Konjunkturschwächen. Werde weniger investiert, spüre dies die Baubranche jeweils besonders heftig.

Erschwerend kommt vor allem für das Bau-Nebengewerbe mit seinen vielen Installateuren hinzu, dass die Eintrittsschwellen für neue Anbieter niedrig sind. Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung reicht bereits ein Startkapital von 20 000 Franken. Auch Firmen, die wie Strategieberater, Personalvermittler oder Werbebüros Dienstleistungen für Unternehmen erbringen, lassen sich mit wenig Aufwand gründen. «Als Ausrüstung genügen in der Regel ein Laptop und ein Telefon», sagt Federer.

Die Konkurrenz in diesem Geschäftsfeld, in dem sich viele Einmannbetriebe tummeln, ist entsprechend gross. Laut Creditreform haben auch in diesem Segment die Konkurse stark zugenommen.

Nachlassstundungen geben Firmen eine zweite Chance

Im Idealfall würden es Geschäftsleute gar nicht so weit kommen lassen, mit ihrem Betrieb unterzugehen. Wird über ein Unternehmen nämlich der Konkurs verhängt, ist es zu spät. «Die Gesellschaft ist dann tot. Es lässt sich nichts Sinnvolles mehr mit ihr machen», sagt Lukas Glanzmann.

Vielen Firmen, die noch über eine gewisse Substanz verfügen, wäre mit einer Nachlassstundung geholfen. Die Nachlassstundung, die das schweizerische Pendant des amerikanischen Chapter-Eleven-Modells ist, erlaubt Unternehmen, unter Aufsicht eines staatlich eingesetzten Sachwalters den operativen Betrieb aufrechtzuerhalten.

Das Management und der Verwaltungsrat bleiben im Amt. Zugleich müssen Zinsforderungen während der Dauer des Verfahrens nicht bedient werden, und Mitarbeiter, denen fristlos gekündigt wird, können direkt den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren überlassen werden. Dadurch wird die Liquidität geschont.

Sanierungen im Rahmen einer Nachlassstundung kommen zugleich nur für Firmen infrage, die noch ausreichend liquide Mittel besitzen. Löhne bestehender Mitarbeiter beispielsweise müssen weiterhin bezahlt werden.

Das Prinzip Hoffnung ist eine schlechte Strategie

Die Zahl der Nachlassstundungen bewegt sich trotz den vielen Konkursen in der Schweiz auf einem tiefen Niveau. Es seien pro Jahr jeweils nur rund hundert, sagt Glanzmann.

Die meisten Unternehmen machen lieber weiter, bis sie den letzten Franken ausgegeben haben. Sie handelten, sagt der Rechtsprofessor, nach dem Prinzip Hoffnung – dass sie es irgendwie doch noch schafften, wieder auf einen grünen Zweig zu kommen.

Karsten Lafrenz von Alix hält es derweil für legitim, dass sich viele Unternehmer auch in Krisenzeiten ihren Optimismus nicht nehmen lassen wollen. Wer nicht an die Zukunft glaube, könne keine Firma führen, sagt er.

Dennoch findet Lafrenz, dass Unternehmen unbedingt einen Plan B für den Fall parat haben sollten, dass sich die erhoffte Besserung nicht einstelle. Er sieht dabei auch die Verwaltungsräte in der Pflicht.

Die Aufsichtsgremien, sagt der Berater, seien oft aus erfahrenen Kräften zusammengesetzt, die schon die eine oder andere Krise erlebt hätten. In den Geschäftsleitungen treffe man manchmal das Gegenteil an. Manche der heutigen Manager in der Schweiz, gibt Lafrenz zu bedenken, seien zu jung, um schon einmal Erfahrungen mit einem hartnäckigen Wirtschaftsabschwung gesammelt zu haben. «Jahrelang ging es für sie nur aufwärts.»

Dominik Feldges, «Neue Zürcher Zeitung»

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