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Das Geheimnis der Hipster-Kaffeemaschine Zuriga: Kleine Manufaktur statt grosse Produktion

Das Geheimnis der Hipster-Kaffeemaschine Zuriga: kleine Manufaktur statt grosse Produktion. (Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Das Geheimnis der Hipster-Kaffeemaschine Zuriga: Kleine Manufaktur statt grosse Produktion

Wirtschaft

3.9.2025 | nzz.ch

Das Geheimnis der Hipster-Kaffeemaschine Zuriga: Kleine Manufaktur statt grosse Produktion

Die Schweizer Kaffeemaschinenfirma spürt den Druck auf ihre Zulieferer durch die amerikanischen Zölle. Kundinnen und Kunden müssen monatelang auf ihre Maschinen warten. Ein Besuch in der Manufaktur in Zürich.

Statt poliertem Metall mit Hebeln und Rädern ein dezentes Chromstahlgehäuse. Statt analoger Druckanzeige zwei simple Knöpfe. Wer eine Kaffeemaschine von Zuriga kauft, hat es geschafft: Man besitzt ein Edelprodukt für 1890 Franken und wirkt trotzdem bescheiden.

Luxuriöses Understatement kommt gut an in der Schweiz. Städter mit dem nötigen Kleingeld investieren nicht in protzige Autos, sondern in Rennvelos oder Siebträgermaschinen, die sie an die Wand ihrer Altbauwohnung hängen beziehungsweise auf die Küchenablage stellen. Die Kaffeemaschine ist längst zum Statussymbol geworden.

Viele Siebträgermaschinen kommen aus Italien. Sie heissen La Marzocco, Bezzera oder Rancilio. Sie glänzen. Zuriga ist matt und kommt aus Zürich. Das Unternehmen hat seine Manufaktur in den denkmalgeschützten SBB-Werkhallen in Zürich Altstetten, direkt neben einer kleinen Bierbrauerei und einer Granola-Fabrikation. Während andere Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, um Kosten zu sparen, produziert Zuriga ihre Kaffeemaschinen im Zürcher Aussenquartier. Und gehört damit zu den Schweizer Unternehmen, die genau das machen, worauf die USA seit ein paar Monaten drängen: lokale Produktion für den lokalen Markt.

Doch wie ist es möglich, in der ultrateuren Schweiz zu produzieren? Noch dazu mitten in der Stadt Zürich?

«Swiss made» trotz allem

US-Präsident Donald Trump erhebt auf Schweizer Importen einen Strafzoll von 39 Prozent. Für die Schweizer Exportindustrie ist dies ein schwerer Schlag. Das hohe Kostenniveau stellte sie bereits in der Vergangenheit vor enorme Herausforderungen. Dennoch verfügt die Schweiz über eine überraschend starke industrielle Basis. Neben Hightech-Firmen behaupten sich auch Hersteller von Konsumgütern mit Erfolg auf dem Weltmarkt. Wie gelingt ihnen das? Wir porträtieren Firmen, die es in der Schweiz gar nicht geben dürfte.

Anne Gabriel-Jürgens

Flavio Gerster baute 2017 die ersten Zuriga-Kaffeemaschinen. Heute leitet er das Montageteam. (Anne Gabriel-Jürgens)

Zuriga produziert kein einziges Teil selber, sondern setzt die Maschinen nur zusammen

Trick Nummer 1: Zuriga hat keine Produktion, sondern ist eine Manufaktur. Zuriga produziert also nicht, sondern montiert. Das heisst: Das Unternehmen stellt kein einziges Teil selber her, sondern kauft alle Einzelteile der Kaffeemaschine zu und setzt sie zusammen.

Statt einer grossen Fabrik benötigt Zuriga im teuren Zürich so nur eine kleine Manufaktur. Die Zulieferer sitzen zwar zu 80 Prozent in der Schweiz. Doch wo «Zürich» draufsteht, ist nicht unbedingt Zürich drin. Sondern Deutschland (der Glas-Wassertank), St. Gallen (das Chromstahlgehäuse) oder Piemont (die Pumpe).

Es gibt in der Zuriga-Manufaktur drei Produktionsstrassen, Reihen mit Werkbänken, an denen jeweils zwei Personen arbeiten. Jede baut eine Kaffeemaschine von A bis Z fertig, von rechts nach links, da das schneller gehen soll. 80 Schachteln mit Schrauben, Muttern und Ventilen stehen bereit, Akkubohrer hängen an Kabeln über der Arbeitsfläche. Die Monteure und Monteurinnen bauen die Maschine aus 318 Einzelteilen zusammen.

Flavio Gerster hat diese Produktionsstrassen immer wieder umgestaltet und optimiert. 2017 baute er die ersten Zuriga-Kaffeemaschinen zusammen. Heute leitet er das Montageteam. Dabei hatte er davor weder mit Kaffeemaschinen noch mit Montage zu tun.

Gerster arbeitete als Fotograf und kümmerte sich um den Obstgarten der Grosseltern im Jura, als er vor ein paar Jahren den späteren Zuriga-Gründer Moritz Güttinger kennenlernte. Dieser überzeugte ihn von seiner Idee einer Zürcher Kaffeemaschine. Gerster interessiert sich für Handwerk und Technik, als Fotograf fasziniert ihn aber auch das Ästhetische. Der kniffligste und aufregendste Moment sei jeweils, das für Laien chaotisch aussehende Gewirr aus Schläuchen, Ventilen und Pumpen am Schluss in den engen Zuriga-Chromstahlmantel zu manövrieren.

Gerster baut noch immer Kaffeemaschinen, koordiniert heute aber mehrheitlich. Er sagt: «Wir sind alle Quereinsteiger.» Nur jemand im Team habe ein halbes Jahr als Servicetechniker für eine andere Kaffeemaschinenfirma gearbeitet. Sonst habe niemand Erfahrung in der Montage gehabt. Am Anfang brauche es deshalb sechs Monate Einarbeitungszeit.

Gerster sagt: «Eine Kaffeemaschine pro Woche zusammenschrauben könnte vermutlich jeder. Aber jeden Tag acht Stunden lang Kaffeemaschinen bauen, das ist schwierig.»

Anne Gabriel-Jürgens

Acht Monteurinnen und Monteure bauen derzeit im Team von Zuriga die Kaffeemaschinen und -mühlen zusammen, jede Person baut ein Gerät von A bis Z. (Anne Gabriel-Jürgens)

Man müsse in einer Art Kontemplation arbeiten und gleichzeitig konzentriert bleiben, jeden Tag das Gleiche machen können – und das mit der nötigen Sorgfalt. Acht Leute arbeiten für Zuriga in der Montage. Sie verdienen laut Angaben des Unternehmens nach der Einarbeitungszeit mindestens 5 000 CHF im Monat. Von elf Mitarbeitenden, die in der Montage und Logistik tätig sind, wohnen vier in Zürich.

Über sieben Monate muss man auf eine Maschine warten

Zuriga hat im Luxussegment seine Nische und Fans gefunden. Während der Corona-Pandemie hat der Kaffeemaschinenmarkt einen kleinen Boom erlebt. Die Menschen stellten sich auf ein Leben in den eigenen vier Wänden ein, tranken ihren Kaffee nicht mehr im Büro, sondern zu Hause. Sie hatten Zeit, sich stundenlang über die besten Kaffeemaschinen zu informieren. Das merkte auch Zuriga.

Doch eine Kaffeemaschine ist kein Verbrauchsprodukt. Hat man eine, hat man sie oftmals für viele Jahre. Zuriga wirbt damit sogar. Auf der Website steht: «Wir bauen unsere Maschinen so, dass sie ein Leben lang halten.» Auch wenn hin und wieder ein Servicebesuch nötig ist – so richtig verdienen tut Zuriga an einem Kunden normalerweise genau einmal: beim Verkauf.

Doch Zuriga scheint fleissig Neukunden zu finden. Seit 2022 hat das Unternehmen einen Standort in München, seit vergangenem Jahr verkauft es auch in Wien. Insgesamt hat sich die Nachfrage in einem Jahr verdoppelt. Das hat laut Güttinger auch mit einer technischen Neuerung in Zurigas Kernprodukt zu tun: einem kleinen Heizelement, das das Wasser für jeden Kaffee einzeln und dadurch schneller und präziser erhitzt. Bei der Kundschaft kommt das gut an. Doch Zuriga lässt sie warten. Über sieben Monate geht es, bis eine Kaffeemaschine geliefert wird.

Zulieferer sind zu klein, zu gross oder von US-Zöllen betroffen

Moritz Güttinger hat Zuriga vor acht Jahren gegründet. Nun steht er im Lager neben Hochregalen, in denen sich Einzelteile für die Maschinen bis zur Decke türmen. Er sagt, die langen Wartezeiten seien so nicht gewollt und keine beabsichtigte Verknappung. «Wir wollen die Lieferzeit auf drei Wochen herunterkriegen.»

Die Nachfrage freut ihn einerseits, stellt ihn andererseits aber vor ein Problem. Denn Zuriga kann nur wachsen, wenn seine Zulieferer es mitmachen.

Anne Gabriel-Jürgens

Moritz Güttinger (links) hat Zuriga 2017 gegründet. Das Unternehmen produziert seine Kaffeemaschinen in den denkmalgeschützten Werkhallen der SBB in Zürich Altstetten. (Anne Gabriel-Jürgens)

Kleinere Produktionsfirmen sind zum Teil überfordert. Der Kabelfabrikant etwa hatte vor drei Jahren plötzlich viel mehr fehlerhafte Kabelbäume geliefert, als Zuriga die Bestellung kurzfristig erhöhte.

Bei grossen Zulieferern ist Zuriga mit seinen vergleichsweise tiefen Bestellmengen auf der Prioritätenliste eher unten, was auch schon zu Verzögerungen führte. Ein Brancheninsider bestätigt die Problematik. Für kleinere Firmen, die in der Nische arbeiteten, sei es eine Schwierigkeit, dass grosse Zulieferer auch grosse Kunden priorisierten. Firmen wie Zuriga seien für diese eher ein Prestigeobjekt.

Einige von Zurigas Zulieferern spüren zudem die Unsicherheit durch die Zölle, die die USA auf Importe erheben. Ein wichtiger Partner befinde sich in Kurzarbeit, da dessen Kunden in die USA exportierten und die Bestellungen zurückhielten, sagt Güttinger. Er muss die Konsequenzen eines möglichen Konkurses des Zulieferers abschätzen. Und wenn nötig nach neuen Lieferanten suchen. «Wir überdenken derzeit etwa bei 10 bis 20 Prozent unserer Partner die Zusammenarbeit.»

Vor einem Jahr lief es so schlecht, dass Zuriga Kaffeebohnen abpackte

Langlebiges Produkt, Manufaktur in der Schweiz, Abhängigkeit von über dreissig Zulieferern. Güttinger sagt, hätte er bei der Gründung nach Investoren gesucht, er hätte womöglich keine gefunden.

Zuriga ist selbstfinanziert und organisiert seinen Vertrieb eigenständig, arbeitet also nicht mit Zwischenhändlern zusammen. Das hilft dem Unternehmen, seine Margen bei sich zu behalten. Doch Güttinger sagt: «Unser Geschäftsmodell ist relativ unelastisch. Wir können weder schnell wachsen noch schnell schrumpfen.»

Letzteres war vor einem Jahr ein Problem. Die Bestellungen verliefen schleppend, insbesondere in Deutschland spürte Zuriga die schwache Wirtschaftslage. Die Nachfrage war zeitweise so gering, dass Güttinger Mitarbeitende in bezahlte Ferien schicken musste. Dann fingen sie an, Kaffeebohnen abzupacken und zu verkaufen. Damit sie ihr Team beschäftigen und an Bord halten konnten.

Heute packt Zuriga keine Bohnen mehr ab. Die Mitarbeitenden haben genug zu tun, der Platz reicht bald nicht mehr. Güttinger ist in Gesprächen für eine doppelt so grosse Fläche, ebenfalls in Zürich. Die Manufaktur soll in der Stadt bleiben. Nahe bei der Hauptklientel also, die sich die teure Hipster-Kaffeemaschine auch leisten kann.

Malin Hunziker, «Neue Zürcher Zeitung»

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