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Bier zum Vorstellungsgespräch? Die HR-Branche am Scheideweg

Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Bewerbungsgespräch spontan in eine Bar verlegt wird? (Patrick Rolands / Adobe Stock)

Bier zum Vorstellungsgespräch? Die HR-Branche am Scheideweg

Führung

10.9.2025 | Marco Cousin

Bier zum Vorstellungsgespräch? Die HR-Branche am Scheideweg

Kulturelle und soziale Kompetenzen haben bei Schweizer Unternehmen mittlerweile einen hohen Stellenwert, manchmal sogar einen höheren als klassische Qualifikationen. Wenn der Persönlichkeitstest zur Eintrittskarte wird.

Sie haben sich sorgfältig auf die zweite Runde eines Bewerbungsverfahrens vorbereitet. Sie erscheinen pünktlich, wenn auch etwas nervös, vor Ort. Es ist kurz vor 18 Uhr, hinter Ihnen liegt ein anstrengender Arbeitstag. Nach einer freundlichen Begrüssung und einem kräftigen Händedruck stellt der HR-Verantwortliche zwei Flaschen vor Sie auf den Tisch. Die Frage dazu lautet: «Quöllfrisch oder Mineral?» Und Sie fragen sich: Ist das eine Falle?

Was wie ein Clip aus «Verstehen Sie Spass?» klingt, ist in manchen Unternehmen tatsächlich Teil eines Auswahlverfahrens. (Wobei die Getränkeauswahl je nach Person variieren dürfte.) Während die betroffene Person lieber anonym bleiben möchte, ordnet Marco Beccarelli, HR-Verantwortlicher bei der digitalen Marketingagentur audienzz in Zürich, ein. Als Profi kennt er diese «Tricks». Das Szenario soll Lockerheit signalisieren und gleichzeitig zeigen, ob jemand ins Team passt. «Die zwischenmenschliche Komponente wird im Bewerbungsprozess immer wichtiger», sagt der Experte. «Gerade bei der Suche nach hochqualifizierten Fachkräften zählen Einstellung, Werte und Teamfähigkeit mitunter mehr als die fachlichen Skills.» Diese seien in der Regel unbestritten, sonst würde es gar nicht zu einem Gespräch kommen.

Marco Beccarelli coacht Menschen während ihrer beruflichen Neustarts. (PD)

Marco Beccarelli coacht Menschen während ihrer beruflichen Neustarts. (PD)

Der Mensch im Zentrum

Das Beispiel oben verweist auf ein bekanntes Problem: Menschen bringen Persönlichkeit mit. Wenn diese nicht zum Team oder zur Unternehmenskultur passt, helfen auch ein Masterabschluss oder ein CAS nicht weiter. Dasselbe gilt auch umgekehrt. Als Coach begleitet Beccarelli auch Menschen in Umbruchphasen. «Ratschläge zeigen nur dann Wirkung, wenn sie zu den individuellen Bedürfnissen, Werten und zur Haltung der Person passen.» Beccarelli zeigt sich kritisch gegenüber klassischen Auswahlverfahren. Der Lebenslauf stehe oft zu sehr im Vordergrund, während die Persönlichkeit wenig Beachtung finde. «Wenn jemand nicht mit unserer Arbeitskultur oder dem Umgangston klarkommt, ist das oft problematischer als eine Wissenslücke.»

Anders gesagt: Fertigkeiten lassen sich aufbauen. Haltungen sind hingegen schwieriger zu beeinflussen und zu korrigieren. Um die Persönlichkeit eines Kandidaten oder die Bedürfnisse eines Klienten besser zu verstehen, nutzt Beccarelli das Reiss Motivation Profile (RMP). Der Test basiert auf dem US-Psychologen Steven Reiss und erfasst 16 Lebensmotive wie Macht, Ordnung, Idealismus oder Status. Das Verfahren ist aufwändig, doch aus seiner Sicht lohnt es sich.

Wandel als Chance

Auch in der Executive-Search-Welt ist man sich einig, dass die Persönlichkeit entscheidend ist. Doch genau hier liegt laut Alain Zanardi, CEO von Assessment Gate, ein Widerspruch: «Zwei Drittel der Fixkosten eines Unternehmens entfallen auf das Personal. Gleichzeitig wird in der Rekrutierung häufig gespart. Das rächt sich, denn bis zu 80 Prozent der Kündigungen gehen auf persönliche Gründe zurück – etwa auf fehlende Passung zum Team oder zur Führung.» Thomas Schneider, CEO von Prisma World, Psychologe FSP und Geschäftspartner von Zanardi, bestätigt das.«Die grosse Mehrheit der Unternehmen setzen sich im Rekrutierungsprozess zu wenig systematisch mit der Persönlichkeitspassung auseinander. Dadurch entstehen Konflikte.

Intuition bleibt wichtig, doch Daten zur Persönlichkeit helfen, teure Fehlentscheide zu vermeiden.

Ziel muss ein ausgewogenes Verhältnis von Komplementarität und Anpassungsfähigkeit sein. Denn jede Rolle verlangt nach einem bestimmten Persönlichkeitstyp.» Unterstützung findet diese Einschätzung in einer 2023 publizierten Studie des McKinsey Global Institute. Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden aktiv fördern und auf ihre Entwicklung setzen, sind wirtschaftlich erfolgreicher und langfristig stabiler. Nur bei der Dividendenausschüttung lagen leistungsorientierte Firmen leicht vorn.

Algorithmus und Einschätzung

Zanardi und Schneider haben ihr Geschäftsmodell auf diese Herausforderung ausgerichtet. Ihre Methode kombiniert künstliche Intelligenz mit einem Datensatz von mehr als 30 000 analysierten Fach- und Führungskräften. Auf dieser Basis soll eine Prognose zur Passung zwischen Person und Funktion berechnet werden. Das Tool kommt nicht nur bei Bewerbungen, sondern auch innerhalb von Unternehmen zum Einsatz. So lassen sich Kommunikationsstile, Formen der Zusammenarbeit oder unterschiedliche Prioritäten im Team sichtbar machen.

Alain Zanardi sorgt als CEO von Assessment Gates dafür, dass es auch auf persönlicher Ebene passt. (PD)

Alain Zanardi sorgt als CEO von Assessment Gates dafür, dass es auch auf persönlicher Ebene passt. (PD)

Mit dem wachsenden Einsatz solcher Analysen stellt sich jedoch eine Frage: Verlernen Führungskräfte dadurch, Menschen aufgrund ihrer Erfahrung und Intuition einzuschätzen? Beccarelli verneint: «Intuition bleibt wichtig. Doch um Fehlentscheide zu vermeiden, braucht es zusätzlich objektive und messbare Daten.» Auch Zanardi und Schneider betonen, dass digitale Verfahren Grenzen haben. «Eine abschliessende Beurteilung kann nur durch erfahrene Assessoren erfolgen.» Vor allem bei hoch dotierten Positionen setzen Unternehmen heute auf eine Kombination aus datenbasierten Verfahren und klassischem Assessment. Die Kosten pro Kandidat können dabei bis zu 10 000 Franken betragen.

Vom Start-up zur Werkstatt

Sind solche Verfahren am Ende nur für Grossunternehmen mit entsprechendem Budget geeignet? Zanardi und Schneider widersprechen. Sie arbeiten auch mit zahlreichen KMU. Gerade dort können Fehlbesetzungen besonders schwer wiegen. «In einem dreiköpfigen Team reicht eine unpassend besetzte Stelle, um einen Kollateralschaden verursachen», sagt Zanardi. «Deshalb lohnt sich der Aufwand dort umso mehr.» Der Trend hin zu Persönlichkeitstests hat das Potenzial, beide Seiten zu entlasten, Arbeitgeber ebenso wie Bewerbende.

Das heisst: Wird im Gespräch plötzlich der Rorschachtest gezückt, dürfen auch Sie sich fragen, ob das Arbeitsumfeld wirklich für Sie passt. Für Bier oder Mineral ist danach noch Zeit.

Persönlichkeitstests

Was treibt Sie an, was erfüllt Sie, wonach streben Sie? Machen Sie den Test!

Reiss Motivation Profile Das Reiss Motivation Profile untersucht 16 grundlegende Lebensmotive, die individuelles Verhalten und Wertvorstellungen prägen. Es liefert ein detailliertes Bild persönlicher Antriebsfaktoren wobei keine festen Kategorien, sondern individuelle Motivationsmuster im Vordergrund stehen.

Big Five Test Das Big-Five-Modell beschreibt Persönlichkeit anhand von fünf zentralen Dimensionen: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und emotionale Stabilität. Es gilt in der Psychologie als international anerkanntes und wissenschaftlich fundiertes Verfahren.

Herrmann Brain Dominance Instrument Das HBDI® basiert auf dem Whole Brain® Thinking-Modell und erfasst individuelle Mentalitätspräferenzen in vier Bereichen: analytisch, strukturiert, zwischenmenschlich und kreativ. Es wird häufig in Unternehmen eingesetzt, um Kommunikation, Teamarbeit und Problemlösungsstrategien zu verbessern.

DISG-Modell Das DISG-Modell teilt Verhalten in vier Grundtypen ein: dominant, initiativ, stetig und gewissenhaft. Es findet vor allem in der Personalentwicklung und im Coaching Anwendung.

16 Personalities-Test Dieser Online-Test baut auf dem Myers-Briggs-Typenindikator auf und ordnet Menschen in 16 Persönlichkeitstypen ein. Er ist leicht verständlich und weltweit verbreitet, wird in der Wissenschaft jedoch kritisch betrachtet, da die zugrunde liegende Typologie nur eingeschränkt empirisch abgesichert ist.

Dieser Beitrag ist erstmals im Rahmen der NZZ-Verlagsbeilage «KMU+» erschienen. Produziert und herausgegeben von NZZ Content Creation. Nicht gekennzeichnete Inhalte sind publizistisch unabhängig entstanden; bei Sponsored Content handelt es sich um kommerziell erworbene Inhalte. Hier geht es zu den NZZ-Richtlinien für Native Advertising.

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