Wenn Sonnenenergie fossile Energie ersetzt, wird der CO2-Ausstoss reduziert. (Unsplash))

Wirtschaft
19.8.2025 | nzz.ch
Teure Nachhaltigkeitsberichte: Übernimmt die Schweiz das EU-Gesetz, drohen hohe Kosten
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäss EU-Gesetz ist bürokratisch und aufwendig. Der Think-Tank Avenir Suisse warnt vor einer Milliardenlast für Schweizer Unternehmen und fordert ein Umdenken.
Im Englischen gibt es das Bonmot: «If you can’t measure it, you can’t improve it.» Im Deutschen wird das sinngemäss übersetzt mit: «Nur was messbar ist, lässt sich auch verbessern.» Dieser Gedanke liegt der Berichterstattung zur Nachhaltigkeit zugrunde. Nur wenn Unternehmen Massnahmen für den Umweltschutz prüfbar messen, können sie ihre Fortschritte glaubhaft und transparent darlegen.
Nur: Wie viel Messung und Berichterstattung braucht es, damit gute Resultate erreicht werden? Und wann kommt der Punkt, an dem man sich in den Zahlen verliert und vor lauter Berichterstattung weniger Geld für das Erreichen des eigentlichen Zieles bleibt?
Der Think-Tank Avenir Suisse hat in einer neuen Analyse untersucht, was die Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung die Schweizer Unternehmen kosten und in Zukunft kosten könnten. Er ist dabei auf einen Milliardenbetrag gekommen. Zu viel, findet Avenir Suisse. Aufwand und Ertrag drohten aus der Balance zu geraten.
Echter Nutzen oder vor allem mehr Bürokratie?
«In Zeiten, in denen sich die Schweiz mit amerikanischen Zöllen von 39 Prozent konfrontiert sieht und die EU erwägt, ihre eigene Regulierung zu lockern, muss der Bund den Nutzen der Regulierung klar darlegen», sagt Michele Salvi, Studienautor und Vizedirektor von Avenir Suisse.
Der Anlass für die Analyse ist, dass der Bundesrat erwägt, die umfangreiche EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung zu übernehmen. Eingeleitet wurde die Angleichung der Schweizer Regulierung an jene der EU 2024 mit einer Vernehmlassung. Dieses Geschäft wurde kürzlich verschoben, soll jedoch im Frühjahr 2026 wieder aufgenommen werden.
Sollte der Bundesrat das EU-Gesetz in seiner jetzigen Form übernehmen, könnten die Kosten für Schweizer Unternehmen gemäss den Berechnungen von Avenir Suisse auf bis zu 1,7 Milliarden Franken pro Jahr steigen. Das sei genug, um die CO2-Emissionen der öffentlichen Verwaltungen in der Schweiz mit kostspieliger Technologie aus der Luft zu filtern, moniert der Think-Tank.
Dabei ist es nicht so, dass Schweizer Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit machen können, was sie wollen. Eine Berichtspflicht gilt seit 2023 bzw. 2024 für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem Umsatz von über 40 Millionen Franken bzw. einer Bilanzsumme von 20 Millionen Franken. Doch die Schweizer Regulierung ist im Vergleich mit jener der EU deutlich schlanker. Ihre Kosten schätzt Avenir Suisse auf jährlich 130 Millionen Franken.
Hohe Kosten gerade für KMU
Doch dabei dürfte es nicht bleiben. Die EU hat ihre Offenlegungspflichten 2024 mit der Corporate Sustainability Reporting Directive stark ausgeweitet. Das hat auch Auswirkungen auf die Schweiz. Hiesige Unternehmen, die entweder EU-Tochterfirmen haben oder als Zulieferer in EU-Lieferketten tätig sind, sind bis spätestens 2028 davon betroffen.
Michele Salvi und Philippe Güttinger von Avenir Suisse berechnen, dass diese Firmen für die Berichterstattungspflichten jährlich rund 680 Millionen Franken aufwenden müssten – 550 Millionen mehr als nach geltender Schweizer Regulierung. Rund 70 Prozent dieser Mehrkosten dürften bei KMU anfallen.
In der EU selbst regt sich zunehmend Kritik an der hohen administrativen Last der Regulierung. Die EU-Kommission reagierte im Frühjahr 2025 mit der sogenannten «Omnibus-Initiative». Diese sieht höhere Schwellenwerte für Unternehmen vor, längere Übergangsfristen und mehr Spielraum bei der Umsetzung. Für Schweizer Unternehmen würden die Omnibus-Vereinfachungen die Kosten um geschätzte 290 Millionen Franken reduzieren.
Unklarer Nutzen einer Verschärfung
Der Avenir-Suisse-Ökonom Salvi meint, dass Bundesrat und Parlament in dieser Situation gut beraten wären, die Auflagen für Schweizer Firmen nicht auf eigene Initiative weiter zu verschärfen.
«Für die Schweiz besteht keine Verpflichtung, die EU-Regulierung zu übernehmen», sagt Salvi. «Wir sollten mindestens abwarten, ob und welche Erleichterungen die EU-Länder beschliessen.»
Zunächst sollte sauber und systematisch evaluiert werden, welchen Nutzen die gegenwärtige Schweizer Berichtspflicht gebracht habe. Dazu habe der Bund bisher keinen Bericht veröffentlicht. Wegen der hohen Kosten für die Wirtschaft sei das aber unbedingt angezeigt.
Anders sieht das Damian Oettli von WWF Schweiz. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung sieht er als wichtigen Schritt zur Ermittlung des ökologischen Fussabdrucks von Firmen. Wenn es für die KMU schwierig sei, solle man nicht die Regulierung reduzieren, sondern in Werkzeuge investieren, die ihnen das Reporting erleichterten.
Avenir Suisse hingegen drängt darauf, dass der Bundesrat vor einer allfälligen Verschärfung der Schweizer Berichtspflicht darlegt, worin ihr Mehrwert besteht. «Der Prüfstein ist der Nutzen in der Praxis», sagt Salvi. «Hier liegt die Beweislast beim Regulator.» Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»

Exklusiver Inhalt aus den Medien der NZZ. Entdecken Sie die Abonnemente für die «Neue Zürcher Zeitung» hier.